Wie ein Geist beim Geisterspiel

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Um kurz vor 10 Uhr klingelt der Wecker. Es ist Samstag in Darmstadt. Spieltag.

Normalerweise ein Tag, an dem man sich mit seinen Jungs gegen 11 Uhr in der Stadt trifft. Vielleicht im Grohe, vielleicht am Marktplatz. Man trinkt ein paar Bier und spricht über die Arbeitswoche – tauscht sich aus. Gefühlt die ganze Stadt ist auf den Beinen. Man bekommt in keiner Tram und in keinem Bus mehr einen Sitzplatz, weil es jeden Heiner ans Bölle treibt. Doch heute ist anders. Geisterspieltag am Bölle gegen St. Pauli.

Ich hatte mich bereit erklärt als Vereinsordner auszuhelfen. Einige Leute beneideten mich, weil ich ins Stadion und das Spiel sehen durfte – andere fragten mich: „Was willst Du denn da bei dieser TV-Produktion?“ Ehrlich gesagt, war ich mir unsicher. Aber hey: Ich darf wenigstens offiziell mit dem Auto auf dem Parkplatz am Bölle parken…!

Kein einziger Fan ist zu sehen. Normalerweise strömen die Menschen scharenweise hoch und stehen an der Aral oder an der Schänke und freuen sich auf den Anpfiff. Dazu ist es noch bewölkt – eine komische Stimmung. Durch einen Seiteneingang betrete ich das Annex-Gebäude und nachdem meine Körpertemperatur gemessen ist, laufe ich wie jeder andere auch eine Gesichtsmaske tragend ins Bölle.

Mein Job besteht darin darauf zu achten, dass niemand ohne Berechtigung von „Zone 2“ in „Zone 1“ geht. Doch um wen genau geht es? Das Präsidium vom SVD und St. Pauli sitzt in einiger Entfernung zu den Auswechselspielern auf der menschenleeren Haupttribüne mit Blick auf die menschenleere Süd und Nord und vor allem Gegengerade.

„Geisterspiele sind nicht die Lösung, sondern offenbaren die Probleme“ prangt groß vor der GG. Das Statement steht wie ein großer Elefant im Raum, aber jeder tut so, als würde man ihn nicht sehen. Es geht los: Die Mannschaften werden vorgestellt. Kein Jubel, kein Klatschen – kein „Die Sonne scheint“. Fühlt sich irgendwie noch an wie ein Testspiel – ach nein, da sind ja sonst wenigstens so 2.000 Leute hier. Anpfiff. Man hört jedes Wort von jedem Spieler. Die Trainer korrigieren die Spieler auf dem Feld und Marcel Schuhen schreit sich die Seele aus dem Leib. Das erste Tor. Die Mannschaft und alle Anwesenden freuen sich (außer der Delegation aus St. Pauli). Aber kein großer Jubel. Kein „Die Sonne scheint“.

Die nächste Chance für die Lilien, leider vorbei. Der SVD dominiert ganz ordentlich – das sieht man auch an der immensen Wut, die St. Paulis Trainer Jos Luhukay hat. Ich kann mir vorstellen, dass er gleich seinen Stuhl aufs Spielfeld wirft. Er bekommt die zweite Ermahnung vom Schiedsrichter – man kann alles genau hören. Er wechselt vier Spieler auf einmal ein. Seine Mannschaft spielt noch schlechter. Darmstadt trifft noch dreimal, ein weiteres Tor war noch Abseits. St. Pauli verschießt einen Elfer. Die Lilien: Unschlagbar heute.


Das Bölle würde toben, die Lilienschänke würde aus allen Nähten platzen und alle wären glücklich und zufrieden. Tja, wären… Im Großen und Ganzen ist ein Geisterspiel nichts, was der Mensch braucht. Am Freitag spielt der SVD gegen Fürth und ich werde wieder Vereinsordner sein. So ganz ohne geht es dann doch irgendwie nicht. Aber… Puh…!

Autor: Roy
Fotos: Stefan Holtzem

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