Ach ja, es gibt sicherlich mindestens 98 Möglichkeiten, diesen Vorbericht – den vorerst letzten für die Lilien in der Bundesliga – aufzuziehen… Schreibe ich von Mönchengladbach, unserem Gegner, einem Verein mit einem Namen wie Donnerhall, zumindest in den 70ern? Schreibe ich von der Statistik, die uns in drei der vier Bundesliga-Spielzeiten jeweils zum Saison-Kehraus auf die Fohlenelf treffen ließ? Schreibe ich einen Rückblick auf diese Saison mit ihren wenigen Aufs und vielen Abs, die am Samstag dann mal endlich ihr Ende nimmt? Schreibe ich darüber, wie es wohl weiter geht, wer uns alles verlässt? Schreibe ich von meiner Rückkehr nach NRW nach meinem Umzug im Januar und den Leuten, die ich dort wieder treffe? Schreibe ich von meinen Gefühlen, während ich meinen Verein zu seinem vorerst letzten Auftritt auf der ganz großen Bühne begleite? – Klar, es ist von allem etwas, denn das alles schwirrt irgendwo in meinem Kopf herum. Seid mir also nicht böse, wenn das mit diesen vielen Gedanken so ein bisschen wirr daher kommt…
Demut mit Wehmut
Fangen wir mal mit dem inzwischen auch etwas überstrapazierten Begriff der „Demut“ an, der sich für mich zur Zeit mit einem großen Stück „Wehmut“ mischt. Ja, wir haben diese Geschichte der wundersamen Aufstiege als kleiner und finanzschwacher Verein, der mit leuchtenden Augen in die großen Stadien Deutschlands fahren durfte und viele Gegner unerwarteter Weise piesakte. Und alle haben sie uns gewarnt: Das zweite Jahr würde brutal. Wurde es. 16x auswärts – 15x punktlos. 3 der 7 Siege ab dem Zeitpunkt, an dem die Lage völlig aussichtslos war, gerade einmal 3 Unentschieden und 23 (!) Niederlagen. War ja alles irgendwie zu erwarten und ist auch nicht weiter schlimm – wir „gehören ja eh nicht in die 1. Bundesliga“. Die Wehmut mischt sich halt dort rein, wenn man sich das alles nochmal durch den Kopf gehen lässt. Die Jungs haben gerade als es aussichtslos war, gezeigt, dass sie es können. Nur eben davor zu selten. Woran das im Detail lag? Schwer zu sagen. Fach/Meier? Ist mir als Alibi eigentlich zu billig. Niemand verbietet Spielern, einfach aus Eigeninteresse und Loyalität zu ihrem Arbeitgeber, immer an die Leistungsgrenze zu gehen. Das wäre für uns die Grundvoraussetzung gewesen, neben dem Spielglück und vermeintlichen Fehlpfiffen der Schiris.
Hätte, hätte, …
Hier mal ein paar kurze Flashbacks: Augsburg auswärts (nach rot für Guwara war’s vorbei…), Mainz auswärts (Elfmeter und zig Chancen vergeben), Walldorf (aargh!!!), Ingolstadt und Hamburg daheim (oh je…), Freiburg auswärts (Elfmeter…), Bayern daheim (gut gespielt – Traum-Gegentor; trotzdem nochmal DAnke, lieber Ramon für die drei Spiele!), Frankfurt auswärts, Augsburg daheim, Bremen auswärts (Elfmeter…), Wolfsburg (Tiefschlaf vorm Pausenpfiff…), Ingolstadt auswärts (zweimal Vrancic und sonst viel Defensive…). Ein paar Punkte mehr hier und dort stibitzt – so 13 Unentschieden statt 3 –, wir würden ganz anders an den Niederrhein fahren… Hätte, hätte, Abwehrkette…
Feier(abend)stimmung
Daher fühlt sich die derzeitige Feierstimmung im Stadion für mich eher merkwürdig an. Feiern wir tatsächlich die Spieler um ihretwillen und der Leistungen in dieser Saison? Nein. Wir mögen deren Leistungen gegen Ende honorieren, sich trotz aussichtsloser Lage ordentlich aus der Liga verabschieden zu wollen. Wir feiern aber uns und den Verein. Und das endgültige Ende einer Ära, von der wir vor ein paar Jahren niemals geglaubt hätten, sie miterleben zu dürfen.
Neue Zeiten
Doch komplett einen Abgesang zu beginnen, verbietet sich ebenfalls. Seit Anfang des Jahres ist wieder jemand da, der es allen beweisen will: Torsten Frings mit seinem Team. Ihn muss die Aussichtslosigkeit seiner Mission eigentlich am meisten geärgert haben, denn als langjähriger Nationalspieler im defensiven Mittelfeld und bei vielen renommierten Vereinen hat er sicherlich nicht mehrheitlich Niederlagen erklären müssen. Klar: Die Chance besteht jetzt darin, ähnlich wie bei dem Umbruch vor vier Jahren, dass nun neue Spieler zu uns kommen, die das sportliche Gesicht des „neuen Darmstadt“, das angekommen sein will im Profifußball, bilden werden. Insofern lassen mich die Abgänge oder Wechsel-Gerüchte um verdiente Spieler deutlich kälter, als es vor einem Jahr der Fall war.
Vergangene und künftige Zeiten
Nun also Mönchengladbach. 0:0 ging das Spiel in der Vorrunde aus, der Einstand von Trainer Frings nach der Winterpause. 1981/82, bei unserem letzten Abstieg, endete das Spiel in der Hinrunde am Böllenfalltor ebenfalls unentschieden – 1:1 (Mattern – Mill). Im Rückspiel am 34. Spieltag kamen wir am Bökelberg mit 1:6 unter die Räder. Mönchengladbach wurde damals Siebter und spielte unter Trainer Jupp Heynckes in folgender Aufstellung: Kleff, Ringels, Hannes (2), Schäffer, Veh, Schäfer (1), Matthäus, Bruns (1) (Mill), Rahn (1), Pinkall, Wuttke (1) (Mohren). Zum Teil sehr klangvolle Namen… Auch auf der Seite der Lilien gab es klangvolle Namen, die in die Liliengeschichte eingegangen sind. Trainer Manfred Krafft stellte auf: Rudolf, Zahn, Westenberger, Gerber, Beginski, Trapp, Hahn (Vorreiter), Stetter, Posniak, Mattern, Cestonaro. Peter Cestonaro war es auch, der am 29. Mai 1982 das letzte Bundesliga-Tor für über 33 Jahre erzielte – bis Marcel Heller gegen Hannover traf. Wie man wohl in 33 Jahren über das Team von kommendem Samstag denken wird…?
Ein letztes Mal träumen – und dann geht’s heim!
Ich fahre am Samstag nach Mönchengladbach. Um zum vorerst letzten Mal diese Bundesliga-Wehmut zu spüren. Um nochmal auf dem Höhepunkt bei meinem Verein zu sein. Zum letzten Mal den Gedanken: Egal, auch wenn wir absteigen, tiefer als 2. Bundesliga können wir nicht fallen. Darmstadt hat sich zwei Jahre lang auf die Weltkarte zurückgespielt. Egal, wie man das finden mag, die Lilien waren in ihrer eigenen, „anderen“ Art Thema – ob in Amerika oder Indonesien. Nach Samstag fängt etwas Neues an. Und das wird nicht einfach. Der Verein ist noch immer in „seiner größten Krise“ (Fritsch). Wir brauchen einen Stadion-Masterplan. Genießen wir noch ein Mal den Bundesliga-Traum. Und ab Sonntag sind wir dann wieder in der Realität und dort, wo wir uns Zuhause fühlen wollen. In der 2. Bundesliga.
Autor: Markus Sotirianos