#1: Türk Gücü auswärts
Die anstehende Saison unter Pandemie-Bedingungen startet für unsere Lilien in dieser Woche mit einem Auswärtsspiel in Sandhausen. Natürlich verfolgen wir alle, wie unser Herzensverein spielt. Die gleiche Bindung wie vorher hat man aufgrund des fehlenden gewohnten Stadionerlebnisses allerdings nicht. Natürlich besteht die Möglichkeit, sich die Spiele am Fernseher anzusehen oder – noch besser – im Fanradio anzuhören, doch die gleiche Lust wie sonst vor einer Saison will bei mir nicht so richtig aufkommen. Die Gründe dafür sind mannigfaltig, und alle Heiner haben hier wohl ihre ganz eigene Sichtweise. Es ist definitiv nicht leicht, sich als Fußball-Süchtiger in diesen Tagen über Wasser zu halten.
Doch manchmal hat man einfach als Lilienfan einfach ein bisschen mehr Glück, wenn auch nicht so oft. Aber wenn, dann richtig. Denn was für ein Timing die MacherInnen und PlanerInnen hinter der neuen Fanmannschaft des SV 98 hingelegt haben, war ihnen wohl selbst erst sehr spät bewusst. Die Idee gab es freilich schon länger, doch erst zu Beginn der letzten Saison wurden alle Zweifel aus dem Weg geräumt und das Jahr genutzt, um eine Mannschaft in der letzten Liga spielen zu lassen, die die Lilie nicht nur auf der Brust, sondern erwiesenermaßen auch im Herzen trägt (das soll keineswegs despektierlich gegenüber unseren Profis gemeint sein…). Es gibt weder Gehälter noch Ablösen, ein fairer und umsichtiger Dialog mit den anderen Mannschaften der Kreisliga D wurde geführt, um Vorurteile abzubauen. Und beim Auswahlverfahren der Spieler wurde eben nicht nur auf die fußballerischen Fähigkeiten, sondern eben auch auf die Fan-Vita geachtet. Und so gab es trotz aller Komplikationen in der Sommerpause die Meldung, dass die Fanmannschaft ab September auf dem Gelände von Germania Pfungstadt ihre Heimspiele vor bis zu 250 Zuschauern (natürlich mit entsprechendem Hygienekonzept) austragen wird. Ich verspürte eine leichte Vorfreude bei dem Gedanken, mit meinen Freunden und vielen weiteren Mitgliedern der Lilien-Familie Kreisliga-Fußball mit blau-weißer Beteiligung anschauen zu können und sicherte mir – wie viele andere – eine Dauerkarte für schlappe 30,- Euro.
Zunächst durfte ich die Truppe dann bei einem der Vorbereitungsspiele im Wankdorf in Bern begutachten. Nachdem ich im Vorspiel noch selbst angetrunken und völlig außer Form eine Halbzeit an diesem legendären Ort versucht hatte Fußball zu spielen, wurde mir mal wieder bewusst, wie anstrengend das doch eigentlich ist. Dementsprechend beeindruckt war ich vom körperlichen Zustand der Truppe, die danach zwar 3:1 gegen starke Berner unterlag, sich jedoch wirklich ordentlich verkaufte. Rundum ein schöner Tag, auch wenn im Wankdorf natürlich wenig Kreisliga-Atmosphäre herrschte. Weitere Testspiele in Fränkisch-Crumbach und gegen Germania Pfungstadt II verpasste ich leider. Die Ergebnisse erdeten aber die teilweise wohl etwas überzogene Erwartungshaltung im Umfeld. Zwei Tage vor dem ersten Spiel wurde ich dann beim internen Mannschaftsabend vorstellig und überreichte den frisch gewählten Spielführern im Namen der Fanszene zwei Kapitänsbinden in blau-weiß, mit unserem Gründungslogo und der Aufschrift „Die Feierabendprofis“ als kleine Hommage an unsere große Aufstiegself von 1978 und der damit verbundenen Erinnerung an das Team, in welcher großen Tradition sie sich von nun an einreihen können.
Am Sonntag fuhr ich dann nach Erzhausen zum Saisonauftakt gegen Türk Gücü Darmstadt II, einen der Favoriten um den Aufstieg in die C-Klasse. Also direkt ein ordentlicher Gradmesser für unsere Jungs. Das Gelände des SV Erzhausen war mir noch bestens aus unserer Oberliga-Spielzeit 2003/04 in Erinnerung, als unsere 1. Mannschaft hier noch ein Pflichtspiel bestritten hatte. Flashbacks gab es für die 1,50 Euro Eintritt also inklusive. Die 150 Lilien-Anhänger verteilten sich recht gleichmäßig und es war – wie man es von unserer Fanszene kennt – ein wirklich bunt gemischter Haufen. Egal ob alte Bekannte, Junge vom Nachwuchs, Angehörige der Spieler, langjährige Freunde oder entfernte Bekannte – es war wieder dieses Gefühl von einer heterogenen Glaubensgemeinschaft, die ich in den letzten Monaten so vermisst hatte. Der Heimverein kümmerte sich rührend um uns, organisierte alles perfekt und kredenzte türkische Leckereien und Tee. Dazu bekam unser Vize-Präsident Markus Pfitzner einen großen blau-weißen Blumenstrauß überreicht und viele nette Worte für die neue Saison mit auf den Weg. Und dann ging es auch schon los, auch wenn ich in den ersten Minuten weniger auf das Spiel achtete als mich mit einigen Leuten zu unterhalten, die ich wirklich viel zu lange nicht mehr gesehen hatte.
Dies ändert sich jedoch mit zunehmender Spieldauer, denn gegen eine wirklich starke Mannschaft von Türk Gücü stehen unsere Spieler kompakt und lassen nur wenige Torchancen zu. Als Tobi dann in der 26. Minute für uns das 1:0 macht, da schwappen die Gesänge erstmals auf alle anwesenden Heiner über und auch meine Aufmerksamkeit liegt nun deutlich mehr beim Spielgeschehen. Die Jungs ackern wirklich unermüdlich und gehen nach einer starken ersten Hälfte mit der Führung in die Pause. Eine wirklich couragierte Vorstellung, bei der man allen anmerkte, wie sehr sie bereit sind, sich für diesen Verein zu zerreißen. Nach der Pause fällt dann leider direkt der Ausgleich für die Rot-Weißen, die sich nun neu sortiert haben und mit viel Wucht dieses Tor förmlich erzwingen. Wir als Zuschauer frotzeln ein bisschen gegen die Spieler, die wir kennen, und versuchen ansonsten mit dem ein oder anderen Lied die Jungs wieder zu pushen. Gerade als das Spiel so vor sich hin plätschert, zieht Dominik aus knapp 40 Metern von seiner linken Seite einfach mal ab und das Ding landet hinter dem Torwart im Netz. Unfassbar! Unsere Ecke rastet aus und das mit Recht! Was für ein schönes Tor von einem, der nun über zwei Jahrzehnte mit uns überall unterwegs war. Ich glaube ich habe selbst bei Toren der Profis im Stadion lange nicht mehr so gejubelt. Ein wirklich schöner Moment, der leider umgehend mit dem erneuten Ausgleich und kurz darauf auch der Führung für unsere Gastgeber zunichte gemacht wird. Unser Held von gerade sieht dann auch noch Gelb-Rot und muss frühzeitig duschen. Ein typisches Lilien-Spiel also mit all den Hochs und Tiefs, die Dir dieser Verein immer wieder innerhalb von nur 90 Minuten beschert. Wir unterstützen die Angriffsbemühungen mit Gesängen so gut es eben geht. Die frühe Anstoßzeit und die langgezogene, kleine Sportplatz-Tribüne machen die Koordination allerdings schwierig. Doch als in der letzten Minute unser Torwart Patte nochmal mit nach vorne stürmt und Kapitän Max rabiat von den Beinen geholt wird, da gibt es einen Aufschrei und der Schiedsrichter zeigt auf den Punkt. Wahnsinn! Elfmeter in der Nachspielzeit. Wer hat jetzt die Nerven aus Stahl? Friedel schnappt sich die Kugel und haut das Ding dermaßen konsequent rein, dass er wohl auch in der gleichen Situation im ausverkauften Wembley-Stadion getroffen hätte. Geil! Die Spieler jubeln, die Fans machen mit und als sich dann beide für das bekannte S-V-D-Einklatschen aufstellen, da wird es einem schon warm ums Herz. Ein gelungener Auftakt für eine hoffentlich weiterhin spannende Spielzeit. Ich habe nun definitiv Blut geleckt und freue mich schon auf das kommende Heimspiel.
#2: Blau-Gelb daheim
Der Spieltags-Rhythmus war lange Zeit entscheidender Bestandteil meines Lebens, bis Corona ihn von heute auf morgen ausgeknipst hatte. Sich nun wieder mit guter Laune durch die Woche auf ein kleines Event zu hangeln, gab wieder neue Kraft und in nicht wenigen Chat-Gruppen wurde bereits über mögliche Sperren, Aufstellungen oder andere Dinge rund um die „Zwote“ diskutiert. Am Spieltag selbst war ich dann bis kurz vor knapp ins Familienleben eingespannt und reiste mit als Letzter nach Pungscht, um dort schon von allerhand bekannten Nasen am Einlass begrüßt zu werden. Alle ehrenamtlichen HelferInnen machen da wirklich einen großartigen Job und sei es beim Abknipsen der Dauerkarte oder dem Vorverkauf fürs nächste Auswärtsspiel – alle Leute machen das ganz offensichtlich mit Herzblut und mit Plan. Dazu ist die Anlage der Germania schon ziemlich kultig. Die Umgebung mit den Lagerhallen ist zwar nicht so richtig hübsch, doch Kassenhäuschen, die Gaststätte und die Pizzeria am Gelände, der Kioskbereich in einer ehemaligen Garage (so sieht es zumindest aus), die Sprecherkabine und die kleine überdachte Tribüne – alles hat seinen Flair und ich fühlte mich von Beginn an sehr wohl. Zusammen mit einem guten Freund tigerte ich die Tribüne entlang und sah wieder viele Leute, die man seit langer Zeit vom Bölle oder auswärts kennt. Ein Pläuschchen hier, ein Schwätzchen da und schon hatte der Schiri angepfiffen.
Der heutige Gegner war mit einer 2:9-Niederlage gegen Frontal Darmstadt in die Saison gestartet und dementsprechend lag die Favoritenrolle heute bei unserer Equipe. Diese ließ auch zu keiner Zeit irgendwas anbrennen und führte bereits zur Halbzeit mit 4:0, ehe das Ergebnis in der zweiten Hälfte auf den 8:0-Endstand hochgeschraubt wurde. Gerade Torsten als nimmermüder Mittelfeldmotor und Maurice als eiskalter Vollstrecker zeigten heute ihre Qualitäten. Die Abwehr agierte zudem sicher und ohne jede Nervosität. So war es nach dem hitzigen Auftakt für uns Zuschauer auch eher ein nettes Beisammensein und die Bierchen liefen dabei dem ein oder anderen wieder gut die Kehle runter. Zwischendrin gab es immer wieder nette Dialoge mit den Gästetrainer, der auf unserer Seite den Linienrichter gab. „Wo habt ihr denn die ganzen Anfänger her?“ urteilte er etwas vorschnell nach ein paar Minuten, ehe er später fragte, ob das wirklich unsere Zweite sei? „Nee, ist jetzt unsere Erste.“ war die Antwort von der Tribüne und so ganz weit weg von der Wahrheit ist der Spruch ja tatsächlich nicht. Abends beim Pokalspiel in Magdeburg fieberte ich zwar wieder am Fanradio mit unseren Lilien. Doch der nächste Live-Spieltag ist für mich dann doch wieder das Auswärtsspiel bei Frontal am kommenden Sonntag.
Es bleibt ein rundum positives Fazit des Saisonauftakts. Nochmals ein großer Dank an alle HelferInnen, Spieler, Trainer und Ideengeber für dieses schöne Lilien-Methadon-Programm. Es hätte keinen besseren Zeitpunkt dafür geben können. Angeschlossen eine Bitte an alle Dauerkarten-InhaberInnen: Wenn Ihr es nicht schafft zum Spiel zu gehen, dann versucht doch bitte, Eure Dauerkarte nicht ungenutzt zu lassen. Viele Leute würden sicherlich gerne noch zu den Spielen gehen und ähnliche Erfahrungen machen, wie ich das gemacht habe. Durch die begrenzte Publikums-Anzahl haben alle KarteninhaberInnen dementsprechend auch die Verpflichtung keine Karte ungenutzt zu lassen. Es gab beispielsweise im Vorfeld des Blau-Gelb-Spiels massiv viele Kartenanfragen, die man teilweise ablehnen musste, nur um am Spieltag zu merken, dass sich einige TicketbesitzerInnen wohl nicht eingefunden hatten. Erleichtert es doch dem Organisations-Team und anderen Fans die Arbeit, damit die Hütte zukünftig immer so voll wie möglich ist.
Unserer Mannschaft weiterhin eine erfolgreiche Runde und uns allen viel Spaß bei der Zwoten!
Allez les bleus!
Bilder von der Fanmannschaft gibt es auf deren Facebook-Seite: https://www.facebook.com/sv98II
Autor: Tim
Foto: Stefan Holtzem