Überzogen und unverständlich

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Blaulichter in der Erbacher Straße, ein großes Polizeiaufgebot, im Fanprojekt eingekesselte Fans. Das war das Szenario nach dem Heimspiel gegen Regensburg am vergangenen Sonntag. Eigentlich hatte das Fanprojekt, eine seit Jahren arbeitende soziale Einrichtung zur Begleitung vor allem jugendlicher Fans, zu seiner Weihnachtsfeier eingeladen. Davon blieb am Ende nichts mehr übrig, lediglich ein emotionales Desaster. Und die FuFa war mittendrin.

Um es gleich vorweg zu schicken: Man muss – und kann vielleicht auch gar nicht – immer einer Meinung sein darüber, wie „richtiges“ oder „falsches“ Fantum auszusehen hat bzw. was dazu gehört und was nicht. Man kann aber versuchen, Formate zu finden, in denen respektvolle Zusammenarbeit miteinander möglich ist und durch die Austausch, Verständnis und Diskussionsgrundlagen entstehen. In dieser Weise arbeiten wir seit unserem Bestehen mit dem Fanprojekt und seinen Mitarbeitern sowie mit den Nutzern des Fanprojekts zusammen, die zum Großteil der aktiven Fanszene angehören (zum Beispiel gerade kürzlich bei der Typisierungsaktion für Marion, aber auch bei vielen anderen größeren und kleineren Anlässen). Einer unserer Beisitzer in der Abteilungsleitung ist sogar hauptamtlicher Mitarbeiter des Fanprojekts. Klar, dass wir FuFa-Vertreter als Kooperationspartner ebenfalls zu dieser Weihnachtsfeier eingeladen waren.

Fanprojekte sind mit Sicherheit keine rechtsfreien Räume, in denen Straftaten bagatellisiert werden. Aber es sollen Orte sein, in denen Mitglieder einer jugendlichen Subkultur Vertrauen erfahren und frei gemacht werden sollen von Kontrollzwängen. Kein rechtsfreier Raum also, aber ein „Frei-Raum“. Entstehende Konflikte, so der Anspruch, werden innerhalb der Gruppe reguliert. Diese Art des Umgangs bietet einerseits die Möglichkeit, sich ein Stück weit ausprobieren zu können, aber auch das eigene Verhalten innerhalb einer Gemeinschaft zu reflektieren und seinen Platz zu finden. Die Mitarbeiter der Fanprojekte begleiten diesen Prozess und sind eigens dafür ausgebildet.

Wenn also Behörden in diesen Freiraum „eindringen“, steht viel auf dem Spiel und es braucht dafür gute Gründe. Im Polizeibericht hieß es dazu (komplett hier: https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/4969/3805189):

Vier Stadionbesucher aus Regensburg wurden nach derzeitigem Ermittlungsstand aus einer größeren Gruppe heraus, von vier bis fünf Anhängern des gastgebenden Vereins körperlich attackiert. Dem Quartett wurden in der Folge Fanutensilien, wie Schals und Fahnen entwendet. Verletzt wurde nach derzeitigem Erkenntnisstand offenbar niemand. Im Rahmen der anschließenden polizeilichen Maßnahmen wurden auf richterliche Anordnung die Räume eines Treffpunkts der Darmstädter Fanszene in der Erbacher Straße durchsucht, weil sich im Rahmen der Ermittlungen der Verdacht ergab, dass sich die Tatverdächtigen dort aufhalten könnten. Die Polizei kontrollierte mehrere Personen. Die gestohlenen Fanutensilien konnten bislang nicht aufgefunden werden.

Jeder möge selbst entscheiden, ob das Vorgehen der Polizei unter diesen Voraussetzungen angemessen erscheint. Die Fanhilfe Darmstadt schreibt in ihrem ausführlichen Kommentar unter anderem (komplett hier: http://fanhilfe.block1898.de/?p=183):

Da die Polizei die unbekannten Täter im Fanprojekt vermutete, wurde die Räumlichkeit von der Darmstädter Polizei, sowie einer eingesetzten Beweis- und Festnahmeeinheit umstellt. Der bloße Verdacht aufgrund der räumlichen Nähe des Fanprojekts zum Tatort reichte der oder dem zuständigen Richter/in wohl aus, um den kurzfristigen Antrag der Einsatzleitung auf einen Durchsuchungsbeschluss stattzugeben. Daraufhin erfolgte eine Personenkontrolle aller Anwesenden (rund 60 Fans) inklusive Durchsuchung und Lichtbildnahmen. Dabei war keinerlei nachvollziehbare Einsatzstrategie zu erkennen, da die eingesetzten Beamten den ersten 15-20 kontrollierten Personen ein willkürliches Platzverbot erteilten, um anschließend alle verbliebenen (größtenteils jüngeren) Personen vor dem Fanprojekt einzukesseln und anschließend in der Kälte auf unbestimmte Zeit warten zu lassen. Im Anschluss durchsuchten die eingesetzten Beamten sehr gründlich die Räumlichkeiten des Fanprojekts, ohne jedoch die vermissten Fanutensilien oder die vermeintlichen Täter zu finden. Nur dem kooperativen Einsatz der Fanprojekt-Mitarbeiter und dem kühlen Kopf der anwesenden Lilienfans ist es zu verdanken, dass die Situation ohne jegliche Eskalation abgelaufen ist.

Inzwischen gibt es auch eine Stellungnahme des Fanprojekt-Teams, die hier nachzulesen ist: http://www.ib-fanprojekt-darmstadt.de/stellungnahme-zu-den-vorkommnissen-am-3-12-17/

Aus einem Diebstahls- bzw. Raubdelikt mit geringem materiellen Schaden wurde also ein massiver Polizeieinsatz. Außer unserem Beisitzer, der hauptamtlicher Mitarbeiter im Fanprojekt ist, befand sich auch unser zweiter Beisitzer zu diesem Zeitpunkt im Fanprojekt und bekam die Kontroll-Maßnahmen voll mit. Zwei weitere Mitglieder der FuFa-Abteilungsleitung kamen später zum Fanprojekt, als es bereits durch die Polizei umstellt war und konnten so nicht zu den Kollegen stoßen und auch nichts im Dialog mit den Beamten bewirken.

Dass es vor und nach Spielen zu kleineren Scharmützeln in der Innenstadt kommen kann, ist bekannt. Ebenso spielt auch bei Volksfesten Alkoholeinfluss eine nicht unerhebliche Rolle, wenn es etwa zu Raufereien oder anderen Delikten kommt. Das ist unbestritten beides nicht gut. Dafür aber eine soziale Einrichtung lediglich aufgrund der räumlichen Nähe zu behelligen, samt der Konsequenzen für die Arbeit der dort tätigen Angestellten, halten wir für völlig überzogen und unverhältnismäßig. Nachdem in einen eigentlich geschützten Freiraum eingedrungen wurde, ohne Belastendes zu finden, wird bei den Nutzern des Fanprojekts das Gefühl zurückbleiben, dass das Vertrauen in diesen
„Freiraum“ nachhaltig geschädigt ist. Nicht nur, dass das Fanprojekt mit finanziellen Kürzungen durch die städtischen Träger zu kämpfen hat, jetzt wurde noch zusätzlich durch die Polizeimaßnahme seine auf Vertrauen basierende Arbeitsgrundlage erschüttert. Wahrlich keine schöne Jubiläums-Weihnachtsfeier anlässlich des 15-jährigen Bestehens…

Jahrelang war das Verhältnis von Polizei-Einsatzleitung und Fangruppen, die das Fanprojekt nutzen, prinzipiell positiv. Mit dem Wechsel der Einsatzleitung vor wenigen Wochen hat sich die Strategie der Polizei offensichtlich geändert. Wir würden uns wünschen, dass erneut und von allen Seiten eine auf Dialog und Vertrauen ausgerichtete Zusammenarbeit angestrebt wird. Auch im Sinne des Steuerzahlers, der für diese Art der Einsätze aufkommen muss.

Für die FuFa-Abteilungsleitung

Markus Sotirianos, Florian Schneider
(Abteilungsleiter, stellv. Abteilungsleiter)