Der 11.11. hat ja für Karnevalisten und Kinder eine besondere Bedeutung. Für die einen ist er Auftakt der sogenannten fünften Jahreszeit, für die anderen ist der Laternenumzug das Versprechen, dass Weihnachten nicht mehr allzu weit weg ist. Doch auch für uns Lilienfans hat der 11. November eine ganz besondere Bedeutung, da wir ohne ihn wohl gar keine Lilien hätten.
Denn am 11. November 1919 trafen zwei bis dato stark rivalisierende Darmstädter Fußballvereine eine folgenschwere Entscheidung: Sie fusionierten. Der eine war der am 22. Mai 1898 von der Familie Ensgraber gegründete Fußballklub Olympia 1898 Darmstadt. Ein Verein, dem sich vor allem Gymnasiasten, Studenten und Akademiker zurechneten – Darmstadts Fußball-Oberschicht könnte man sagen. Dieser Status wurde mit viel Leidenschaft und Engagement erreicht und verteidigt. Der einzige andere Verein, der an diesem Status noch etwas ändern konnte, war der Darmstädter SC von 1905 – ein Verein der Arbeiterklasse mit einem Sportplatz an der Windmühle, nahe der damaligen Lumpen-Sortieranstalt. Zwei Klubs, so gegensätzlich, dass vor dem 1. Weltkrieg zu manchen Fußballschlachten kam, an deren Ende kaum jemand ein gutes Wort über den Gegner verloren hätte. Die damalige gesellschaftliche und politische Situation befeuerte die Rivalität bis zu einem gewissen Grad. Wie konnte aus diesen Rivalen am Ende eine Einheit werden?
Dieser Frage gingen exakt 100 Jahre nach der Fusion die Vereins-Archivare Thomas Spengler und Jürgen Koch auf den Grund. Im Fanprojekt Darmstadt waren rund 30 Lilienfans jeden Alters zusammen gekommen und lauschten gespannt den historischen und lebhaften Erzählungen über dieses interessante Stück Vereinsgeschichte. Ein gelungener und würdiger Abend, der noch mehr ZuhörerInnen verdient gehabt hätte, sodass wir an einer Lösung arbeiten, diese Geschichte bald einem noch breiteren Publikum zur Verfügung zu stellen.
Denn mit dem 1. Weltkrieg wurden der Fußball und die Klassenunterschiede zur Nebensache. Um Darmstadt weiterhin auf dem Sportplatz repräsentieren zu können, bildeten die Rivalen zähneknirschend eine Not-Mannschaft, da viele Spieler an der Front kämpften oder dort verwundet oder bereits gefallen waren. Die übrigen Spieler des DSC und der Olympia kickten also auf einmal zusammen und merkten schnell, dass dies gar nicht mal so schlecht funktionierte. Als der Krieg dann endlich vorüber war und die Darmstädter Stadtgesellschaft, schwer gezeichnet von dessen Folgen, versuchte wieder auf die Beine zukommen, da wollten die beiden Klubs zunächst wieder selbstständig Sport zu treiben. Doch dies misslang, sodass es schnell zu Gesprächen über eine Fusion kam. Einige Mitglieder mussten überzeugt werden – und da gab es eben die guten gemeinsamen Erfahrungen aus den Kriegsjahren. Und doch – eine Liebesheirat war es nicht für beide. Man war ganz klar „Olympianer“ oder „05er“, auch wenn die Klassenunterschiede durch den Krieg einigermaßen beseitigt worden waren. Doch die Liebe zum Sport im allgemeinen und die sich öffnenden Perspektiven, die waren am Ende ausschlaggebend, dass die Mitglieder beider Klubs für ein Zusammengehen stimmten. Am 11.11.1919 entstand somit der Sportverein Darmstadt 1898 e.V. und besteht genau in dieser Form bis heute. Das Gründungsdatum „1898“ wurde – wie damals üblich – vom älteren Verein übernommen.
Während der FK Olympia zuvor in schwarz-weiß antrat und der DSC in schwarz-rot, so wurde der neue Verein sofort als der EINE Stadtverein präsentiert. Die Vereinsfarben wurden die Stadtfarben blau und weiß. Dazu zeichnete der bekannte Industrie-Designer und Olympianer Hartmut Pfeil die erste Lilie, entnommen dem Darmstädter Stadtwappen, sodass die Identifikation mit dem neuen Verein lediglich über die Stadt funktionieren sollte und weniger über dessen gesellschaftliche Zusammensetzung. Ein Geniestreich, der bis heute großartig funktioniert und die starke Symbiose zwischen Stadt und Sportverein bestens symbolisiert. Die Aufbruchstimmung wurde 1921 perfekt gemacht, als mit einem großen Fackelzug vom Luisenplatz zum Böllenfalltor das neue Stadion des SV 98 eingeweiht wurde. Der Fußball und auch der Breitensport in Darmstadt sollten fortan hier zu Hause sein und unter dem Dach der Lilien stattfinden.
Alle Geschichten und Anekdoten rund um beide Verein in einem Text wiederzugeben, die wir an diesem Abend von unseren Archivaren erfahren haben, wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Eines der Highlights war jedoch sicherlich, dass nach jahrelangen Recherchen das bislang verschollene Logo des Darmstädter SC präsentiert werden konnte. Dieses zeigt einen roten hessischen Löwen im Gegensatz zum schwarzen Jugendstil-O des FK Olympia. Ein schönes Geschenk zu 100 Jahre Fusion.
Dazu kamen historische Schätze, die der Nachfahre der Familie Ensgraber, Gerhard Schmidt, mit ins Fanprojekt gebracht hatte. Der Ur-Enkel von Vereinslegende Dr. Karl Grünewald hatte den Großherzogs-Pokal, den sowohl der FK Olympia als auch der SV Darmstadt 98 später gewannen, zum Anfassen dabei. Ebenso wie den Original-Mitgliedsausweis Nr. 002 des SV Darmstadt 1898 e.V. Da ging so manchem Lilienfan das Herz auf, als er diese Sachen in den Händen halten durfte und Gerhard dazu einige interessante wie lustige Familien-Geschichten zum Besten gab.
So ging ein anekdoten- und lehrreicher Abend im Fanprojekt zu Ende. Dem 100-jährigen Bestehen und seinem Gedenken wurde es in jedem Fall gerecht und mancher Lilienfan stieß danach noch auf dieses besondere Datum und seine Bedeutung an.
Auf die Olympia und den DSC und ihren Mut, Unterschiede und Grenzen im Sinne des Sports zu überwinden und damit unseren SV98 zu schaffen!
Auf 100 Jahre, die dieser Verein nun schon die Stadt hinter sich vereint!
Und dass er dies auch die nächsten mindestens 100 Jahre tun möge!
Autor: Tim
Fotos: Vereinsschreiber / FuFa