#SVDREG | Gemischte Gefühle

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Erinnerung an Robert Enke: Fußball ist nicht alles, es gilt immer wieder auch eigene Verhaltensweisen zu hinterfragen...

Ich war als Kind kein großer Fan der „gemischten Tüte“ am Kiosk ums Eck. Da waren immer Sachen drin, die ich nicht mochte und für das gleiche Geld konnte man sich ja auch eine Tüte voll mit Dingen geben lassen, die man gern hat. Warum ich trotz solch klarer Rosinenpicker-Veranlagung bei Süßigkeiten dann ausgerechnet leidenschaftlicher Fan von Darmstadt 98 geworden bin? Fragt mich was Leichteres. Denn das vergangene Heimspiel gegen Regensburg war definitiv eine gemischte Gefühlstüte mit 1-2 leckeren Naschereien, aber auch verschmähungswürdigen Zucker-Produkten von denen nur die Macher genau wissen, warum sie hergestellt wurden.

Wenn wir von vorne beginnen, lag symbolträchtiger, dichter Nebel über dem geliebten Böllenfalltor. Die Dachkonstruktion auf der Gegengerade war gerade noch zu erkennen, doch das diesige Wetter ließ irgendwie keine Vorfreude auf das heutige Spiel aufkommen. Dazu kam die vorherige Niederlage in Fürth, die allen Heinern noch deutlich vor Augen war und die ungeliebte frühe sonntägliche Anstoßzeit. Alles zusammen ergab dann einen Mix, der irgendwie nichts richtig Gutes erahnen ließ. Viel Gutes wurde dafür bei der Kleiderspendenaktion von SÜDTRIBÜNE KARITATIV abgebeben, die in diesem Jahr für Geflüchtete auf der griechischen Insel Lesbos sammelte. Coole Aktion, an der sich einige Lilienfans beteiligten. Außerdem wurden seitens des Vereins rund 30 Geflüchtete zum Spiel eingeladen, die ebenfalls von Lilienfans aus der Südtribüne in Empfang genommen und betreut wurden. Solche Aktionen bringen dann doch wieder ein gutes Gefühl, Teil des richtigen Vereins zu sein und es ging mit etwas mehr Vorfreude ins Stadioninnere.

Die Lilien starteten mit einer erneut etwas geänderten Aufstellung im Vergleich zu Fürth und Tobi Kempe kehrte in die Startelf zurück. In den ersten Minuten machte das einen durchaus engagierten Eindruck, ohne allerdings richtige Torgefahr oder Chancen zu kreieren. Ein oft zu sehendes Phänomen in dieser Saison, denn sobald die erste Drangphase vorbei ist, schießt der Gegner das erste Mal auf unseren Kasten und der Ball ist sofort drin. Diesmal dank unfreiwilliger Mithilfe von Dumic – und sofort war die Anspannung auf dem Feld und den Rängen greifbar. Die erste Süßigkeit, die wohl ausschließlich den Gästen geschmeckt haben dürfte. Danach ging es ohne weitere nennenswerte Dinge in die Kabine.

Aus dieser kamen die Lilien mit deutlich mehr Durchschlagskraft heraus. Die Mannschaft stemmte sich vehement gegen eine erneute unverdiente Niederlage und hatte nun auch mehr Chancen, scheiterte allerdings am gut aufgelegten Regensburger Torhüter oder an der eigenen Ungenauigkeit. Für mich war es schwer, aus der Hintertor-Perspektive dieses Übergewicht während des Spiels auch so deutlich wahrzunehmen. Zu sehr überwog der saure Drops aus der ersten Hälfte. Die Stimmung besserte sich allerdings – um jäh vom Schiedsrichter unterbrochen zu werden.

Pacman frisst den VAR…

Der vieldiskutierte VAR kam mal wieder zum Einsatz und sogleich war das Bölle in seiner Reaktion emotional gespalten. Während Protestbanner auf der Süd ausgerollt wurden und der Pacman auf der Gegengerade ein VAR-Zeichen verspeiste, so war der Jubel nach der Entscheidung auf Elfmeter seitens des restlichen Publikums die andere Seite der Medaille. Mal ganz abgesehen davon, dass ich die Entscheidung auf Elfmeter im Nachgang als nicht so eindeutig wahrgenommen habe, konnte ich mich in der Situation nicht über dieses „Geschenk“ freuen. Der Videobeweis raubt die spontane Emotion, die ich am Fußball immer so geliebt habe und ich lehne ihn daher in aller Deutlichkeit ab. Somit kann ich mich auch nicht freuen, wenn wir von ihm profitieren. Das wäre nicht konsequent – und um ehrlich zu sein – war ich ganz froh, dass es danach Protestgesänge zwischen Heim- und Gästefans gab, die mir zeigten, dass ich mit dieser Meinung nicht ganz alleine dastehe. Den VAR brauche ich jedenfalls in der gemischten Gefühltüte ungefähr so sehr wie eine Lebertran-Pastille. Selbst wenn das Zeug danach wirkt, schmeckt es einfach nicht.

Über besagten Elfmeter könnte ich jetzt auch wieder stundenlang philosophieren. Keiner weiß, warum Dursun sich den Ball schnappt und danach so ein Theater veranstaltet. Die Frage muss er sich selbst beantworten. Es war jedenfalls ein Elfmeter-Verhalten, das ich so nicht bei meinem Verein sehen möchte. Die Quittung in Form vom Fehlschuss und einem hoch erzürnten Stadion bekam Dursun postwendend. Dass einige 98er hierbei genauso deutlich über das Ziel hinaus schossen wie unser Schütze, sollte an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Denn (!!!): Wo andere Spieler unter der Last dieser Szenerie zusammenbrechen und nichts mehr auf die Reihe kriegen, zeigte Dursun im Anschluss eine durchaus bemerkenswerte Reaktion. Genauso wie die restliche Mannschaft. War die Stimmung gerade noch am Boden, so gelang mit einem Abstaubertor der ersehnte Ausgleich, den keiner so richtig fassen konnte.

Dursun staubt ab – 1:1!

Der Funke war jetzt allerdings wieder da, der BöllenfallROAR erwachte und kurz vor Schluss tankt sich Dursun zur Führung durch. Als ob ich eine Sahnetorte am Boden meiner gemischten Tüte gefunden hätte. Ein wunderbarer Moment des Glücks, das ich in diesem Moment kaum fassen konnte.

Extase nach Dursuns 2:1!

Doch unser Sportverein wäre wohl nicht unser Sportverein, wenn er diesem Spiel nicht doch noch eine große Portion Lilien-Tragik hinzugefügt hätte. Vollkommen unnötig lässt man dem Jahn nochmals den Raum um Angriffe zu starten. Nervosität bricht sich vom Platz aus Bahn auf die Ränge und von dort scheinbar zurück zu unserem Torwart, der in der Nachspielzeit den Sieg aus den Händen gleiten lässt…

Tut sehr weh und war ganz bitter… Trotzdem: Kopf hoch, Schui!

Stille. Leere. Frust. Solche Momente sind so grausam wie Siege in der Nachspielzeit schön sein können. Sie gehören zum Fußball dazu und doch wird man sich wohl nie an sie gewöhnen. Der letzte Griff in die gemischte Tüte lässt eine bittere Pille zum Vorschein kommen.

Und doch ist die Reaktion irgendwie ein bisschen aufbauend. Schuhen wird von seinem Team sichtbar aufgebaut und ihm sofort signalisiert, dass er mit dem Ding nicht alleine ist. Gerade im Hinblick auf die Schweigeminute vor dem Spiel für Robert Enke ein wichtiges Signal, das auch die meisten Lilienfans nach dem Spiel mit aufbauendem Applaus und kurzen Anfeuerungsrufen für das Team unterstreichen. Doch es ist schwer die Achterbahn der Gefühle in diesem Moment auszublenden, die man zuvor erlebt hat. Letztendlich doch die einzig vernünftige Reaktion.

Spannend und unterhaltsam war es allemal, doch der Punkt am Ende durch sein Zustandekommen doch irgendwie zu wenig. Damit umzugehen fiel weder mir noch manch anderem Lilienfan besonders leicht. Noch lange stand ich mit ein paar Freunden und Bekannten an der Schänke und wir redeten gemeinsam über das soeben Erlebte und die Gesamtsituation. Weniger, um Lösungen zu finden, sondern viel mehr, um uns gegenseitig zu beruhigen oder sich auskotzen zu können.

Je länger ich über dieses Gefühlswirrwarr schreibe, umso mehr kann ich meine Einstiegsfrage, warum ich Fan dieses Vereins und dieses Sports geworden bin, doch beantworten. Es läuft halt nie wie geplant, sondern immer eher so, wie man es nicht vorhersehen kann. Für jemanden, der sich im Vorfeld gerne versichert immer nur die „richtigen“ Süßigkeiten zu bekommen, ist dies wahrscheinlich ein gesunder Ausgleich, um alle Emotionen, die das Leben so bietet, innerhalb von nur 90 Minuten erleben zu können. Und das ist ja auch was wert.

Diese Gefühlswelt teilte sicherlich jeder Lilienfan unmittelbar nach dem Spiel…

Autor: Tim
Fotos: Claus Krentscher

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