Sailer-Premiere bei turbulenter Auswärtsfahrt

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Die Bahn kommt.“ Das war ein Werbeslogan der Deutschen Bahn AG, der irgendwann um die Jahrtausendwende über die deutschen Mattscheiben flimmerte. Manche werden sich vielleicht daran erinnern. Diese drei Worte, schlicht und klar in ihrer Formulierung, standen für Konstanz und Zuverlässigkeit. „Die Bahn kommt…“ Als wir Freitag am frühen Nachmittag am Darmstädter Hauptbahnhof auf sie warteten, hatte ich zwischenzeitlich das Gefühl, die Bahn kommt überhaupt nicht mehr. Aber schließlich trudelte unser Sonderzug nach Nürnberg mit circa 80 minütiger Verspätung doch noch ein. Schnell wurden Fans und Verpflegung verladen und los ging die Reise in Richtung Frankenland. Natürlich hat so ein Sonderzug im Fahrplan der Bahn keine hohe Priorität. Somit mussten wir des Öfteren halten, um den einen oder anderen ICE an uns vorbeibrausen zu lassen. Das war natürlich für unseren aufgrund der Verspätung ohnehin schon engen Zeitplan nicht gerade zuträglich.

Die Stimmung an Bord war prächtig. Die Aussicht, bei einem so namhaften Club antreten zu können, die Vertragsverlängerungen der vergangenen Woche und die momentan überkochende Euphorie beim Sportverein – all das steigerte die Laune der Fans und lud zum Feiern ein. Weil beim Feiern auch getrunken wird, muss man von Zeit zu Zeit austreten. Da der Zug allerdings bei 400 Reisenden nur über drei oder vier Toiletten verfügte, erstreckten sich die Warteschlangen teilweise über mehrere Abteile. Und so blickte man in einige schmerzverzehrte Gesichter. Im Laufe der Fahrt erfuhren wir, dass das Spiel aufgrund unserer Verspätung eine Viertelstunde später angepfiffen werden würde. Am Bahnhof in Fürth angekommen, ging es rasch in die U-Bahn, die gleich mal einem heftigen Belastungstest durch ein lautstarkes „Wer nicht hüpft ist Offenbacher“ unterzogen wurde. Weiter ging‘s zum Messezentrum in Nürnberg, von wo wir zu Fuß zum Stadion marschierten. Im Stadion selbst wurden wir von den übrigen Lilienfans schon heiß erwartet, schließlich galt es Stimmung zu machen, um die Mannschaft nach vorne zu peitschen. Ich persönlich schaffte es fünf Minuten nach Anpfiff in den pickepackevollen Block.

Doch nun zum Spielgeschehen: Die erste Halbzeit war so ziemlich zum Vergessen. Unsere Lilien bekamen überhaupt keinen Zugriff auf den Gegner. Die „Clubberer“ hingegen kamen mit Pressing, Zweikampfstärke und Laufbereitschaft daher. Sie spielten also quasi Darmstädter Fußball und wurden mit der verdienten Führung belohnt. Es schien, als hätten die Nürnberger die böse 0:3 Packung nicht vergessen, die sie im vergangenen Oktober am Böllenfalltor hatten einstecken müssen. Darmstadt konnte sich bei seinem wieder einmal glänzend aufgelegten Schlussmann Christian Mathenia bedanken, dass es mit diesem knappen Rückstand in die Halbzeitpause ging. Das tolle an unserer Mannschaft ist jedoch, dass sie nie die Köpfe hängen lässt und wenn es mal nicht so rund läuft, trotzdem an die Wende glaubt. Diese Mentalität überträgt sich dann auf die Fans und so war es auch in Nürnberg. Die Stimmung im Block war fantastisch, die Lilienfans machten richtig Lärm und pushten somit das Team für den zweiten Durchgang.

Dirk Schuster musste die richtigen Worte in der Kabine gefunden haben, denn das Spiel unserer Lilien verbesserte sich zusehends in Hälfte zwei, auch wenn zwingende Torchancen zunächst ausblieben. Mit Toni Sailer, Jan Rosenthal und Tobias Kempe hatte Schuster zudem drei frische Offensivkräfte auf den Rasen geschickt, die das Spiel merklich belebten. Allen voran der unermüdliche Sailer trieb seine Mannschaft nach vorne.

Woche für Woche gibt es für Toni Sailer lobende Worte für seinen Einsatz und sein Kämpferherz, doch die Tore schießen andere (der SVD bevorzugt für diesen Job Verteidiger). Welcher etatmäßige Stürmer schafft es schon zum unangefochtenen Publikumsliebling, obwohl er diese Saison noch kein Tor geschossen hat? Doch diese Durststrecke endete eindrucksvoll in der 73. Spielminute. Einen langen Ball von Romain Brégerie nahm Sailer gekonnt im Strafraum an und vollendete eiskalt per Drehschuss ins linke Eck. Es war gleichzeitig Sailers erstes Tor überhaupt im Unterhaus des deutschen Fußballs. Den Jubel bei uns im Block kann man sich ausmalen. Seit Rosenthals Last Minute-Siegtor gegen den BTSV bin ich nicht mehr so abgegangen. In der Folge gab es noch gute Gelegenheiten vor beiden Toren, doch es blieb schlussendlich beim 1:1 Unentschieden. Schaut man sich den gesamten Spielverlauf an, kann man als Darmstädter mit diesem Punkt sehr zufrieden sein. Wenn einem dann nochmal bewusst wird, dass Nürnberg vor einem Jahr noch zwei Klassen über uns gespielt hat, muss man sich schon ein Grinsen verkneifen bei dieser verrückten 98er Erfolgsgeschichte.

Weit weniger verrückt war dann die Rückfahrt. Der Zug war diesmal pünktlich am Gleis, was nicht verwundert, hatte er doch auf uns gewartet. Auf der Rückfahrt analysierte man das Spiel und beschäftigte sich mit den schwierigen, alles entscheidenden Aufgaben, die die Lilien in den kommenden Wochen vor der Brust haben. Aber was hat der Sportverein schon zu verlieren, hat er sein Soll doch schon x-fach erfüllt. Mit diesem Gedanken ging es fröhlich durch die Nacht zurück in die verrückte südhessische Fußballhochburg.

Fabian Ortkamp

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