Alles Gude, Eckhard Krautzun

ALLES GUDE ZUM ACHTZIGSTEN, ECKHARD KRAUTZUN!

Wir schicken unsere allerbesten Glückwünsche aus Darmstadt an den Heppenheimer Trainer-Globetrotter, der heute vor achtzig Jahren in Essen geboren wurde. Dem SV 98 war er seit seinen beiden Engagements 86/87 und 1989 stets besonders verbunden.

Eckhard Krautzun vorzustellen bedeutet eigentlich Eulen nach Athen zu tragen. Der nach Rudi Gutendorf am weitesten gereiste deutsche Übungsleiter hat in seiner fünfundvierzigjährigen Trainertätigkeit bis auf Australien beeindruckende Spuren auf allen Kontinenten hinterlassen. In Nordamerika, Kenia, Tunesien, Saudi-Arabien, Japan, Malaysia, Südkorea, China und auf den Philippinen leistete der Weltenbummler außerordentlich erfolgreiche Entwicklungsarbeit im Umgang mit dem runden Leder.

Vor allem im Reich der Mitte wird der in seiner aktiven Zeit für Union Solingen, den Rheydter SV, den 1. FC Kaiserslautern (drei Bundesligaspiele für die Pfälzer in der Saison 66/67), TeBe Berlin und Young Fellows Zürich die Kickstiefel schnürende Krautzun bis heute verehrt und immer wieder um Rat und Tat gefragt. Seine Trainerstationen auf der nationalen Landkarte lesen sich wie ein „Who is Who“ des deutschen Fußballalmanachs: Wormatia Worms, 1860 München (Bundesligaaufstieg 1979), Union Solingen, TeBe Berlin, Alemannia Aachen, SC Freiburg, VfL Wolfsburg, 1. FC Kaiserslautern (auf dem Betzenberg feierte er 1996 mit dem DFB-Pokalsieg in Berlin gegen den KSC den größten sportlichen Triumph auf der Bank), FC St. Pauli und Mainz 05. Historikern fällt natürlich sofort auf, dass noch ein Verein in dieser Auflistung fehlt. Der einzige Klub, bei dem Krautzun nebst mehreren beratenden Funktionen gleich dreimal in offizieller Trainerverantwortung stand und der sich für ihn zu einer Herzensangelegenheit entwickeln sollte: Der Sportverein Darmstadt 1898.

Erste 98er-Ära 86/87: Offensivpower und Viertelfinale im DFB-Pokal

Bei den Lilien wird der Name Krautzun in einem Atemzug mit solchen Trainerlegenden wie Adam Keck, Lothar Buchmann oder Udo Klug genannt. Eben diesem Udo Klug hatte der in Essen geborene Globetrotter indirekt sein erstes Engagement beim südhessischen Traditionsverein zu verdanken. Mitte der achtziger Jahre war Klug an der Nieder-Ramstädter Straße zum zweiten Mal in Amt und Würden und schickte sich gerade an, seine erfolgreiche Erst-Epoche (Süddeutscher Fußballmeister 1973) in der Zweiten Liga zu toppen, als er Ende August 1986 in einer Nacht- und Nebelaktion dem Lockruf des damaligen Bundesligisten FC Homburg folgte und seine Zelte im altehrwürdigen Bölle überraschend abbrach. Zehn Tage später machte das seinerzeitige Präsidium um Hans-Joachim Schmitt Nägel mit Köpfen und lotste den damals 45-jährigen Krautzun zum SV 98. „Bei der guten Basis war Darmstadt unter mehreren Angeboten für mich der Traumverein“, konstatierte der Coach hocherfreut. Am 13. September 1986 verfolgten 4100 Zuschauer die Premiere des neuen Mannes an der Seitenlinie. Uwe Kuhl rettete durch seinen Ausgleichstreffer zum 1:1 gegen Arminia Bielefeld fünf Minuten vor dem Abpfiff das Debüt. Krautzun hievte die aus der Achse Wilhelm Huxhorn, Karl-Heinz Emig, Oliver Posniak, Bernhard Trares und Bruno Labbadia bestehende Mannschaft fortan mit seiner Offensivtaktik (Umstellung auf drei Sturmspitzen) in die Aufstiegsregionen und stieß im DFB-Pokal bis ins Viertelfinale vor (übrigens das einzige Mal für den SV 98 in der Vereinsgeschichte). Doch die so effizient beginnende Kooperation endete enttäuschend. Der spätere Cupsieger HSV siegte schmeichelhaft durch ein spätes Tor von Manfred Kastl vor 26000 Zuschauern im restlos ausverkauften Bölle 1:0 und als die Lilien durch ein 0:3 an der Bremer Brücke in Osnabrück alle Chancen auf einen dritten Bundesligaeinzug liegen ließen (in der finalen Abrechnung blieb nur der undankbare vierte Platz), trennte sich der SV 98 trotz einer kurz zuvor getätigten Vertragsverlängerung (Kontrakt bis 1988) noch vor dem Rundenkehraus 86/87 von Krautzun. Die kaum nachvollziehbaren Erklärungsversuche über die fehlende Ausstrahlung waren wahrscheinlich nur der kurz darauf vermeldeten Verpflichtung von Klaus Schlappner für die neue Saison 87/88 geschuldet. Das Ergebnis ist bekannt: Mit dem Pepita-Hut zog wieder der Sicherheitsfußball in Darmstadt ein. 1988 erreichten die 98er zwar die Relegation, doch nach dem Scheitern im Elfmeterschießen gegen Waldhof auf saarländischem Boden war der 1993 vollzogene Weg ins Amateurlager vorgezeichnet…

Zweite 98er-Ära 88/89: Comeback mit sechs Siegen in Folge

Dass nicht schon 1989 der Absturz in die Anonymität der Hessenliga erfolgte, gebührte der Löwenanteil Eckhard Krautzun. Nach der unglückseligen Relegation 1988 konnten weder Werner Olk noch Rainer Scholz das havarierende blau-weiße Schiff in der Zweitligasaison 88/89 auf Kurs bringen. Ausgerechnet eine 1:3-Pleite auf dem Bieberer Berg beim Erzrivalen Kickers Offenbach ließ das Fass überlaufen und Lizenzspielerchef Karl-Heinz Salm nach dem Rettungsanker Krautzun greifen. Die zur unrühmlichen Entlassung führenden Vorkommnisse gut 1½ Jahre zuvor wurden in einem intensiven Gespräch schnell ausgeräumt und Krautzun startete seine zweite Amtszeit bei den Lilien. Er übernahm die verunsicherte Mannschaft auf Abstiegsplatz 17 und hauchte ihr neues Selbstvertrauen ein. Außerdem gelang ihm der vielleicht entscheidende Schachzug, indem er den etatmäßigen Libero Michael Blättel weit nach vorne hinter die Sturmspitzen postierte und dem bisherigen Spielertrainer Rainer Scholz den Job des letzten Mannes anvertraute. Die Umstellungen zeigten sofort Wirkung. Lohn war ein sensationeller Einstand von sechs Siegen hintereinander (darunter das berühmte 4:3 auf Schalke an Ostern ’89), die den Sportverein binnen weniger Wochen elf Sprossen im Klassement nach oben spülten. Zwar fand die Riesenserie keine weitere Fortsetzung, doch in der Endrangliste wurde ein gesicherter 11. Rang manifestiert. Dank einer einem Spitzenteam würdigen Bilanz von 21:13 Zählern in 17 Partien sicherte Trainerfuchs Krautzun dem SV 98 ein weiteres Jahr in der Zweitklassigkeit und saß im Gegensatz zu seiner ersten Epoche diesmal am längeren Hebel. Während ihm Anno 1987 nach einem Dreivierteljahr der Stuhl vor die Tür gesetzt wurde, drehte der Übungsleiter im Sommer 1989 den Spieß um und kündigte aus eigenen Stücken. Krautzun sah sich nicht zu Unrecht der sportlichen Basis beraubt, weil mit Oliver Posniak (Viktoria Aschaffenburg), Rafael Sanchez (SV Edenkoben) und Bernhard Trares (Alemannia Aachen) wichtige Korsettstangen für das Mannschaftsgefüge den Verein verließen.

Dritte 98er-Ära 99/00: Geglückte Qualifikation für die zweigleisige Regionalliga

Es folgten für die Lilien drei weitere Zitterjahre, in denen jeweils der letzte Spieltag (unvergessen das 0:0 in der Wattenscheider Lohrheide 1990 und das 2:1 gegen Mainz 1992) bzw. ein Lizenzentzug für RW Essen (nach Rundenschluss 1991) den Klassenerhalt bewerkstelligten. 1993 war das Glück allerdings aufgebraucht. Sang- und klanglos stiegen die Blau-Weißen aus dem bezahlten Fußball ab. Hypothetisch bleibt die Frage, was passiert wäre, wenn man in den Achtzigern Eckhard Krautzun während seiner beiden Phasen am Bölle die Zeit respektive die Mittel für eine langfristige Arbeit gewährt hätte. Immerhin kehrte Krautzun zehn Jahre nach seinem zweiten SVD-Gastspiel am 4. Oktober 1999 noch ein drittes Mal als Trainer ans Böllenfalltor zurück. Die Lilien pilgerten in jener Zeit zwischen Ober- und Regionalliga und waren gerade mal wieder aufgestiegen. Da am Rundenende 99/00 die vier Regionalligen in zwei Staffeln gestrafft wurden, musste mindestens der elfte Platz in der Endabrechnung her. Nach einem Fehlauftakt traute die sportliche Leitung Meistertrainer Slavko Petrovic die Qualifikation nicht mehr zu und beurlaubte den serbischen Coach. Eckhard Krautzun (inzwischen 58) sprang wieder einmal in die Bresche. 2756 Fans bejubelten beim 3:1 über Borussia Fulda sein neuerliches Comeback, zu dem Oliver Wölki (2) und Mentor Dzemaili die Treffer beisteuerten. Peu á peu bugsierte Krautzun die Darmstädter Elf in die benötigten Tabellenregionen und hatte zum Saisonkehraus mit Position 9 auch seine dritte Mission am Böllenfalltor bravourös erfüllt. Ein 3:0 gegen Schweinfurt und ein 4:2 beim heute vergessenen SV Lohhof (dreifacher Torschütze: Ronald Hoop) sicherten dem SV 98 die Teilnahmeberechtigung an der zweigleisigen Regionalliga. Zu einer Zusammenarbeit für eine zweite Spielzeit am Stück fanden Verein und Trainer allerdings wiederum leider keinen Konsens. Den geforderten professionellen Zukunftsstrukturen Krautzuns (gestandene Spieler, bessere Trainingsbedingungen, einen hauptamtlichen Co-Trainer sowie Physiotherapeuten) setzte das Präsidium aus wirtschaftlichen Gründen einen Riegel vor. Krautzun ging trotz des wiederholten Erfolgs zum dritten- und letzten Mal als Kapitän von Bord, ohne über die komplette Distanz einer Saison zu gehen.

Kosmopolit als gern gesehener Gast auf der Tribüne

Spätestens nach den Abstiegen 2003 und 2007 dürften die damaligen Verantwortlichen diese mangelnde Risikobereitschaft bereut haben. Der Westfale Krautzun (inzwischen schon lange im südhessischen Heppenheim sesshaft) blieb Stammgast auf der Tribüne (soweit es seine Aktivitäten als Kosmopolit gestatteten). In vielen Diskussionsrunden kam sein Faible für den Sportverein zum Vorschein und machte jedem deutlich, dass er die Lilie im Herzen trägt. Während der letzten acht Saisonwochen der Spielzeit 02/03 „reaktivierten“ die 98er in höchster Not Krautzun als sportlichen Berater, doch diesmal war es zu spät. Die Erfahrungswerte des Haudegens konnten in dieser kurzen Spanne nichts mehr ausrichten. Der SV 98 um Spielertrainer Zivojin Juskic stieg vor der imposanten Kulisse von 10137 Zuschauern gegen den bereits feststehenden Aufsteiger Jahn Regensburg (1:3) zum dritten Mal innerhalb von zehn Jahren in die Hessenliga ab.

In jener schwierigen sportlichen Ära wünschten sich viele Fans das routinierte Fachwissen eines Eckhard Krautzuns zurück, der ohne Zweifel die Fußballgeschichte am Böllenfalltor mitgeschrieben hat.

Happy Birthday, Ecki!“ ⚜️

Fotos: Vereinsarchiv