Zurück in die Zukunft

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Es hat sich schon so einiges verändert, als Lilienfan. War man vor ein paar Jahren noch frisch beim Verein gehörte man zu denjenigen die bei Auswärtsspielen im Zug standen und Geschichten von den Alten hörte. Die Lilien, damals, in der Bundesligazeit. Und die zweite Bundesliga! Wir waren anscheinend mal wer. Wir konnten mal was. Die Augen wurden immer größer und diese Geschichten, voller Charme, Leiden(schaft), Einzigartigkeit und Tradition waren es, die einen in den Bann der Lilie zogen.

2003/04, als ich neu zu den Lilien kam war davon nicht mehr viel übrig. Helden der Unterklasse, wenn überhaupt, und immer dieses „Ach die Lilien, gibt’s die auch noch?“-Gerede von den feinen Fans der Bundesliga. Naja klar, im Bayern München Trikot ist das Leben schon relativ entspannt: Familienausflüge in Deutschlands und Europas Großstädte und allein die Fragen, ob man seinen eigenen Rekord bricht. Wann hat man uneinholbar die Meisterschaft geholt? Mai? April? März?

Und während man dann so auf der Rückfahrt von Weidenhausen, Frankurt, Fulda oder sonst einem unbedeutendem Fußballfleck nach Hause tuckert, hörte man sich dann die letzten 15 Minuten live im Radio an. Weit genug ist man ja nicht gefahren, dass der Radiosender von Zuhause nicht mehr empfangen wurde.

Doch anscheinend meinte es der Fußballgott gut oder entwickelte einen skurilen Humor. Denn er schenkte uns Persönlichkeiten, die uns aus dem tiefen Keller der Fußballgeschichte hervorkramte und den Verein langsam, aber sicher wieder zu neuem Glanz verhalfen. Nach dem ein oder anderem Schwein, das man hatte oder Wunder, das geschah war es dann ganz plötzlich so weit: Die Lilien spielten wieder in der zweiten Bundesliga. Da wo wir hingehören. Sagten zumindestens die Alten aus’m Zug.

Und wie das so ist, steigt der Verein auf, verändert er sich. Aus den 1200 Zuschauern, die früher mal da waren und ein sehr familiäres Umfeld schafften, wurden 12000. Wo man früher noch alle kannte, sucht man heute zwischen fremden Gesichtern seine Familie.

Aber es verändert sich ja auch nicht alles zum schlechten. Es hat durchaus seinen Reiz, anstatt zu einer X-Beliebigen U23 Mannschaft nach Düsseldorf zur Fortuna oder auf den Betze zu fahren. Ab und zu mal so ein Oldschoolstadion wie in Aue- passt!

Zur Ersteren ging es letztes Wochenende. Nachdem wir nicht nur den spekatkulären Last-Minute-Sieg in Bielefeld geholt hatten, sondern den Profifussball in einer atemberaubenden Serie ohne Niederlagen mit lowbudget Stümperfußball aufmischten veränderte sich zu mindestens aus dem „Ach, die Lilien“ ein „Oha! Dieeee Lilien?“. Dementsprechend war jeder uncool, der nicht die Bundesligafahrt der 98er mitmachte. Außerdem macht sich ein Familienausflug über’s Wochenende nach Düsseldorf etwas besser bei den Kollegen, als ein verschwendeter Nachmittag in Lohfelden.

Doch aus einem Grund waren die Nachmittage im Amateurfußball doch nicht verschwendet: Verlieren. Man lernte wunderbar, wie es ist zu verlieren. Genau das taten die Lilien nämlich nach 16 Spieltagen ohne Niederlage wieder.

Zu Beginn machten beide Mannschaften viel Druck und probierten das Spiel schon früh für sich zu gewinnen. Genau wie Früher kam ein Ding nach dem nächsten, das eigentlich drin sein müsste (Heller, Stroh-Engel in der 25., Jungwirth 36.). Doch nur die Düsseldorfer sollten in der ersten Halbzeit den Ball ins Netz schieben. Das passierte in der 44. Minute durch Benschop.

In der zweiten Halbzeit ging das Spiel ähnlich turbolent weiter. Gondorf und Stroh-Engel probierten wieder vergeblich ihr Glück. Die Fortuna konnte in Führung bleiben. Auch der eingewechselte Sailer konnte in der 63. Minute das Blatt nicht wenden und schoss über’s Tor. Dafür erhöhten die Düsseldorfer in der 66. Minute durch den selben Torschützen auf 2:0. Nach dem Tor flachte das Spiel ab und es sollte auch nichts mehr passieren. Beide Mannschaften gingen nach dem Abpfiff in die Kabinen.

Für die Fans ging es wieder gen Heimat. Also, Radio an und Fußball hören. Erstmal wurde der Radiosender rausgesucht, der Fußball sendet. Und da musste man wirklich suchen- schließlich befindet man sich in Düsseldorf nicht mehr im heimischen Radiosendegebiet. Aber Fußball läuft ja zum Glück überall- besonders zu den vollen Stunden, wenn die Nachrichten laufen. Im Gegensatz zu früher wurde dort überregional auch von den Lilien gesprochen. Trotz der Niederlage und der verpassten Chance, eine halbe Saison lang ungeschlagen zu sein, muss ich doch grinsen. Wer hätte vor zwei Jahren noch gedacht, dass das hier möglich wäre? Jedes Spiel ist wie ein Geschenk und scheint nicht real zu sein. Wo früher ein Ball verspielt wurde bin ich immernoch begeistert, dass ein Pass ankommt. In großen Stadien bin ich immer wieder überrascht meine Lieder zu hören und meine Farbe zu sehen. Ganz davon zu schweigen, dass es nichts mehr mit unfassbarem Glück zu tun hat, am frühen Samstag Abend auf ARD zu laufen. Es scheint alles wie im Traum zu sein.

So viel man als Heiner auch meckert und sich beschwert: In Wirklichkeit will doch keiner der nostalgischen alttreuen Leute, die sich über die „Neuen“ aufregen, tauschen. Jederzeit würde ich die Fortuna den alten Bekannten aus Aschaffenburg, Alzenau oder Worfelden vorziehen.

Und was sich noch veränderte: Gehörte man früher zu denen, die sich im Zug die Geschichten der Bundesligazeit erzählen lies, gehört man jetzt zu den wenigen, die Geschichten über die Zeit im Fußballsumpf erzählen können. Hat ja auch was.

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