Spielbericht SV 98 – TSG 1899 Hoffenheim

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Ein Brief vom Gründungsvater

Hoffenheim, der 29.8.2015

Werter Freund Dietmar,

ich gehe davon aus, dass Du mich nicht kennst, denn wie könntest Du auch, bin ich doch schon seit vielen Jahren tot. Aus jenem Grunde sei es mir vergönnt mich als einer der Gründungsväter der Turn- und Sportgemeinschaft bei Dir vorzustellen. Mein Name ist Jakob Wetzel.

Ich sitze hier oben im Himmel auf einer Wolke mit meiner Harfe und Engelsflügeln im weißen Gewand und betrachte das unter mir stattfindende Spektakel auf dem grünen Rasen in Darmstadt. „Fußlümmelei“, so bezeichnete man das einst, was sich heute „Fußball“ nennt. Scheinbar hat die Popularität an diesem – zumindest in meiner Zeit – verpönten Sport exorbitant zugenommen.

Du musst verstehen, mein lieber Freund, dass ich nicht viel Ahnung von dem Regelwerk habe. Wohl meine ich aber zu wissen, daß Tore über Sieg und Niederlage entscheiden. Bedauerlicherweise fielen an diesem Samstag keinerlei dieser, so daß der Wettkampf unentschieden blieb.

Es freut mich außerordentlich, daß unser so wohlgeliebtes Örtchen nicht unterlegen ist, gleichwohl ich dennoch wenig Verständnis für die Art und Weise habe, wie dies gelang. War es denn wirklich im Sinne eines aufrechten und ehrlichen Sportsmannes von Nöten, daß ein gewisser Mark Uth in der 25. Minute seinen Gegner aus Darmstadt Peter Niemeyer einen Stoß vor dessen Brustkorb verpasste, so dass dieser rücklings niederstürzte? Immerhin repräsentiert dieser eine von uns, Mark Uth, unser Dorf, unseren Verein! Nein, mein lieber Freund Dietmar, ich kann und will das nicht gutheißen! Ich hoffe, Du rügst ihn für sein Fehlverhalten ordentlich.

Zu meiner Zeit um die Jahrhundertwende predigten wir aufrichtiges Verhalten! Eine solche Entgleisung hätte zu einem Ausschluss aus meiner ach so geliebten Turn- und Sportgemeinde geführt, dessen sei Dir gewiss! Damals belohnten wir unsere Turner noch mit einem zünftigen Abendbrot in unserer Vereinsgaststätte und tranken den ein oder anderen Krug Bier mit ihnen, als Dank und Anerkennung für ihre sportliche Darbietung. Aber heute? Wie verkommen sind die Zeiten, daß der über die Stränge schlagende Sportskamerad Uth auch noch einen gewissen Salär für das nicht verlorene Wettspiel erhält? Man munkelt, so sagte man mir, daß der Missetäter gar soviel an Geld verdienen würde, wie man es nur aus Inflationszeiten kennen würde. Nein, mein werter Freund Dietmar, das wäre niemals in meinen Sinn gekommen, als ich diesen Verein mit meinen Freunden am 1. Juli 1899 gründete.

Auch, so fiel mir negativ auf, spielten Deine Mannen weiter, als sich zwei Darmstädter im Strafraum vor Schmerzen krümmten. Ich entschuldige mich an dieser Stelle bei den Herren Stroh-Engel und Sailer vielmals, daß unsere Mannen weiterspielten und sie somit nicht einer fachgerechten Behandlung unterzogen werden konnten. Meinen Unmut, als ewig fairer Sportsmann, über den verweigerten Penalty möchte ich ebenfalls freien Lauf lassen. Warum hatte keiner meiner/unserer Turn- und Sportgemeinschaftsler den Mumm in den Knochen die Missetat ehrlich zu gestehen?

Mein geliebtes Hoffenheim, was ist aus Dir geworden? Meine geliebte TSG, was ist aus Dir geworden? Damals kannte jeder jeden in unserer Gemeinschaft. Da waren beispielsweise meine wertgeschätzten Weggefährten Wilhelm Gilbert als Schriftwart, der Beisitzer Friedrich Ludwig, Kassierer Heinrich Brecht und der Turnwart Karl Epp. Wir verbrachten Zeit miteinander, halfen uns bei Alltagsproblemen und saßen unter schattenspendenden Bäumen mit unseren Liebsten im Freien und genossen das Beisammensein. Und wenn wir unsere Turnerfeste abhielten, war das ganze Dorf auf den Beinen und starrte gebannt, was wir uns mit eifrigem Training aneigneten. Das Lob der Nachbarn im Dorf war das größte Kompliment für uns jungen, athletisch gebauten Kerle. Und wenn dann noch die hübsche Nachbarstochter die Augen rollte und einen anhimmelte, dann schlug mein Herz vor Freude Purzelbäume.

Aber heute? Was hast Du aus meinem Kleinidyll gemacht, Dietmar?! Kommt da noch einer aus der Nachbarschaft? Oder aus dem Nachbarort? Oder wenigstens aus der großen Stadt, dem benachbarten Heidelberg? Nein, wahrlich nicht, ich habe es intensiv im „Lilienkurier“ studiert. Den Sohn des Bäckers, der Bub vom Bauern oder aber den Junior vom Gastwirt vermisse ich in unserem Verein doch sehr heutzutage. So etwas läuft dann unter Schlagworten wie „regional verwurzelt“? Wahrlich nicht, es setzt mir einen Stich ins Herz, war es doch stets eines meiner Bestreben, Gemeinschaftsgefühl im Ort über den Verein zu stärken.

Und wie Du Deine – entschuldige das Wort – „Gladiatoren“ an die Wettkampfspielstätten beorderst. In einem Autobus, der so bequeme Sessel hat, wie wir sie nur sonntags in der guten Stube zu Gesicht bekamen. Um die Jahrhundertwende reisten wir noch auf Pferdewagen zum nächsten Wettkampfort ein und sangen gar ein fröhlich Lied. All das scheint es heute nicht mehr zu geben…

Ein letzter Punkt der Kritik sei mir gestattet, werter TSG-Nachfolger an der Spitze: wie Du vielleicht weißt, war mein Beruf der des Schneidermeisters. Mit Liebe, wenn auch mit wenigen Mitteln, schneiderte ich den bewegungsfreudigen Turnern weiße Leibchen aus Baumwolle auf den Leib, daß es für den Betrachter eine Augenweide war. Aber wie seid ihr in Darmstadt aufgelaufen? In einem undefinierbaren grellen Gelb-Ton, der einem einen gewissen Schmerz in die Augäpfel treibt. Und die Schuhe, in allen nur erdenklichen Farben. Rot, pink, gelb, grün,… Wo ist der feine schwarze Lederschuh hin, der einen Athleten die gewisse Ausstrahlung verlieh? Wahrscheinlich müssen die jungen Kerle ihr Schuhwerk heute noch nicht einmal mehr selber putzen, was zu meinen Zeiten einem Affront gleichgekommen wäre! Auch daß kann nie meine Intention vom Sportlerleben gewesen sein.

Werter Dietmar, ich schließe mit den folgenden Worten: Ich bin mir dessen bewusst, dass auch nur Du das Beste für unseren geliebten Verein möchtest. Dennoch möchte ich Dich bitten an gewissen Stellen die alten Werte aufrecht zu erhalten. Bewahre den Geist des Lokalen, der uns vor über 100 Jahren einmal ausgemacht hat. Viel zu viele Stimmen sind mit dem Verein und seinem Werdegang in den letzten Jahren nicht einverstanden, beschimpfen das Image unseres Vereins. Muss das sein, möchtest Du Dir das wirklich antun?

Ich würde mich darüber freuen, wenn die TSG in unserem Örtchen geliebt und gemocht wird. Es muss ja nicht im ganzen Land so sein. Weniger ist mehr, insofern sind mir 100 begeisterte Hoffenheimer willkommener, als das zehnfache an nicht mögender Hoffenheim-Bürger in der Republik.

Mit sportlichen Grüßen

Dein Dir treu verbundener

Jakob Wetzel

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