„Ein Stück meines Lebens, meiner Heimat“

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Das Ende der Gegengerade in ihrer heutigen Form naht. Nach dem letzten Heimspiel der Saison 2017/18 rücken die Bagger an. Aus der Sicht von Lilien-„Urgestein“ Peter Schmidt (79), Mitglied seit 1950, jahrzehntelang in Ehrenämtern aktiv und seit 2014 im Ältestenrat, geht damit auch „ein Teil der Geschichte des Vereins verloren“. Für ihn persönlich „ein Stück meines Lebens, meiner Heimat“. Unzählige Erinnerungen aus erfolgreichen und weniger erfolgreichen Zeiten der Lilien und private Erlebnisse sind für ihn mit dem Böllenfalltor und insbesondere der Gegengerade verbunden. Die „Liebe“ begann schon in der Kindheit, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die ausgebombte Familie – der Vater war im Krieg gefallen – fand Unterkunft in einer Baracke nahe dem Stadiongelände des SV Darmstadt 98, das die Amerikaner beschlagnahmt hatten und als Baseball-Feld nutzten. „Für uns Kinder war das Gelände der ideale Abenteuerspielplatz“, schwärmt Peter Schmidt noch heute. „Wir waren nach der Schule immer bei den Amis, haben dort unsere ganze Freizeit verlebt.“ Die Amerikaner wurden auf den kontaktfreudigen, abenteuerlustigen Jungen aufmerksam. Der damals acht Jahre alte Peter wurde das Maskottchen der Baseball-Mannschaft „Hornets“. Zwei Outfits wurden eigens für ihn geschneidert – ein grauer Anzug fürs Training, ein weißer für die Spiele – „und ich hatte einen eigenen Chauffeur, wurde mit einem Chevrolet zu den Spielen abgeholt.“


Auf dem Bild ist die Mannschaft der Hornets zu sehen. Der Junge in der vorderen Reihe ist Peter Schmidt.

Die ersten Spiele der Lilien sah Peter Schmidt 1946 – gespielt wurde auf Ausweichplätzen am angrenzenden Hochschulstadion oder an der Radrennbahn in Bessungen. Zu Derbys lief er zu Fuß nach Arheilgen. 1950 stiegen die Lilien dann in die Oberliga Süd auf. Sein erstes Spiel auf der Gegengerade? „Das war 1952 das Eröffnungspiel gegen Admira Wien, es war quasi die Stadioneröffnung, nachdem die Amis das Gelände wieder freigegeben hatten.“ Auf dem vormals flachen Gelände waren – mit Kriegsschutt als Untergrund – die ersten zehn Stufen der Gegengerade errichtet worden, erinnert sich Peter Schmidt. „Von da an saß oder stand ich dort, die Gegengerade wurde mein Stammplatz, bis ich 2014 in den Ältestenrat gewählt wurde, seitdem sitze ich auf der Haupttribüne.“ Für den jungen Lilien-Fan von damals undenkbar: „Stimmung gab es auf der Gegengerade, da saßen oder standen die eigentlichen Fans. Es gab eine deutliche Trennung zwischen den Fans auf der Gegengerade und den Menschen, die sonst im Stadion waren.“ Die Fangruppen im A- oder F-Block auf der Tribüne seien erst viel später entstanden.

Die persönlichste Erinnerung von Peter Schmidt in seiner Beziehung zu Verein und Stadion ist die Verlobungsfeier mit seiner ersten Frau Margot 1966 in der Südkurve (Foto), Hochzeit wurde dann ein Jahr später in der Lilienschänke gefeiert.

Hoch her ging es im Böllenfalltorstadion ab den sechziger Jahren fast 20 Jahre lang an Himmelfahrt, wenn jedes Jahr Teams von der Basketball- und Tischtennisabteilung des SV 98 gegeneinander antraten. „Das waren Mords-Derbys“, ist Peter Schmidt noch heute begeistert. Die Geselligkeit kam dabei natürlich auch nicht zu kurz. „Auf der Gegengerade standen dann die Bierfässchen“.

Von 1963 bis 1970 war Peter Schmidt Vereinsjugendleiter der 98er. In diese Zeit fällt eine Aktion, an die er auch gerne zurück denkt. Rund 600 Bäume wurden auf dem Stadiongelände gepflanzt, darunter eine Reihe mit Linden oberhalb des letzten Stehranges der Gegengerade. „Für die Linden habe ich mit den Jugendlichen die Pflanzlöcher gegraben.“ Bei der späteren Erweiterung der Gegengerade wurden die Bäume aber wieder gefällt. Seine schönste Erinnerung: „Das 7:0 gegen Nürnberg 1973. Ein Tor schöner als das andere. Wie sich da die Menschen auf der Gegengerade in den Armen gelegen haben, das war wie Aufstieg in die Bundesliga.“

Trotz aller Nostalgie besteht für den agilen Pensionär kein Zweifel an der Notwendigkeit von Umbau und Sanierung, er findet es „grundsätzlich gut, dass wir am Bölle bleiben.“ Bedenken hat er hinsichtlich der Finanzierung allenfalls für den Fall, dass die Lilien in die dritte Liga absteigen sollten. „Aber der Verein hat so viele Krisen überstanden, das wird er auch überstehen“, ist Schmidt zuversichtlich. Er hofft jedoch, „dass der Umbau professionell begleitet wird und damit im Kosten- und Zeitplan bleibt.“

Was wünscht Peter Schmidt Verein und Fans für die neue Gegengerade? „Dass dort dieselbe Stimmung aufkommt wie auf der alten Gegengerade.“

Autorin: Liz Schuster

1 Kommentar

  1. Schade, dass man solchen Fans den Zutritt mit der Dauerkarte nun so erschwert und jeden Spieltag ans Kassenhäuschen schickt. Ich finde, das muss nicht sein. Es gibt viele alteingesessene, die sauer sind, weil man ihnen nirgendwo Ersatz anbietet und die Gegengerade nicht Sektion für Sektion fertigstellt. Dann wäre es nämlich möglich, den Pufferbereich zu nutzen und alle könnten drinbleiben. Über folgende Variante könnte man sogar finanziell vorsorgen:
    1. Die ersten 1000 Fans, die ligaunabhängig Karten für die GG bestellen kommen in einen Topf
    2. Es wird eine Zahl nicht verkaufter Tickets aus den Vorverkäufen ermittelt
    3. Über ein Forum können sich Karteninhaber melden, die am Spieltag verhindert sind
    4. Die Anzahl von Firmenkarten von Sponsoren wird reduziert
    5. Es wird ein variabler Gästebereich eingerichtet.
    6. Diese Zahl frei werdender Plätze wird ermittelt und auf die Vorbesteller im Topf verteilt.

    Vorteil: Es gäbe keine Phantombesucher mehr, die Gästeplätze wären nie leer und im schlimmsten Fall der Fälle wäre selbst in der dritten Liga das Stadion gut gefüllt. Außerdem würden sich die GG Dauerkartenbesitzer nicht mehr geringschätzt fühlen, was im Moment definitiv der Fall ist.

    Man könnte jetzt sagen, das Verfahren sei zu kompliziert, aber am Millerntor wird es wöchentlich durchgeführt.. Das führt dort zu einem stets gefüllten Stadion und dadurch erzielt St.Pauli die zweithöchsten Zuschauerzahlen der Liga. Hinzu kommt, dass ein Verein mit einem hohen Zuschauerschnitt bessere Karten bei Sponsoren hat

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