Bundesliga-Spielbericht – Knecht Ruprecht damals und heute | #SV98HSV

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Brennende Bäume und so

Leute, erinnert Ihr Euch an exakt heute vor einem Jahr? Wir, auswärts, bei der Elf vom Flughafen. Hochsicherheits-Hessenderby nach gefühlt 98 Jahren. 17 von der FuFa organisierte Fanbusse. Was ein Fight! 0:1, Kopfball Sulu zum Sieg gegen eine damals desolate Frankfurter Mannschaft. Darmstadt als der Knecht Ruprecht unter den Bundesliga-Teams. Dazu brennende geklaute Lilien-Fanutensilien, Platzstürmchen von SGE-Fans und Polizei. Ein Sieg, der für ein bis Weihnachten anhaltendes Grinsen im Gesicht sorgte, trotz folgender Niederlagen gegen Berlin, in Bayern und Gladbach. Bei der SGE brannte der Baum und wir schwebten. „Darmstadt ist wieder wer!“

Hangover

Heute, ein Jahr später, fühlt es sich an wie ein ferner Traum, der Kater nach durchzechter Nacht. Gestern (für „Knecht Ruprecht“ eigentlich einen Tag zu früh, aber gut so!) zog das Präsidium die Reißleine nach einer Niederlagenserie, die Darmstadt im Mark erschüttert hat. Und zwar nicht, weil es eine Niederlagenserie ist, sondern weil mit ihr eine gefühlte komplette Resignation verbunden war, die ich so selten am Böllenfalltor erlebt habe. Wer sich erinnert: Wehen Wiesbaden II, das war so ein Spiel, als Zivo Juskic danach seinen Rücktritt erklärte. Oder das Spiel gegen Großbardorf, als uns Stunden später Aschaffenburgs Rückzug vor dem Sturz in die Fünftklassigkeit bewahrte.

Wir spielen heute Bundesliga. Ja, dafür müssen wir dankbar sein. Ja, wir sind dort die kleinste Wurst. Ja, wir haben eine Infrastruktur, mit der wir nicht mithalten können. Das wissen wir alles. All das hat uns in den vergangenen Jahren aber nicht schwach, sondern stark gemacht. Der SVD, das ist das kleine südhessisch-gallische Dorf, das den Großen auf den Sack geht. Zur Not mit allen (erlaubten…) Mitteln. Weil dort Leute für einander durchs Feuer gegangen sind. Doch dieser Feuereifer ist erloschen, geblieben sind Asche und gebrannte Kinder. Das einzige, was bei uns noch brennt, ist der Baum. Und das Grinsen von vor einem Jahr ist bei den Minusgraden gefroren.

Gründe

Wie konnte es dazu kommen? Natürlich ist man nachher immer schlauer, aber es bewahrheitet sich schon auch häufig, dass man im Erfolg zu Fehleranfälligkeit neigt, außergewöhnlich gute Strukturen für Normalität hält und nicht wertschätzt, was man an ihnen hat. Das System Schuster mag in die Jahre gekommen sein, aber es war ein System – und erfolgreich. Müßig zu spekulieren, wie es weitergegangen wäre, aber sein Erbe war ein schweres.

Schuster hatte seine spezielle Art, Spieler zu verpflichten mit dem Versprechen, sie besser zu machen. Deren Bezugsperson war nun weg. Die vielen Neuen konnten zu dem, was vorher war, gar keinen Bezug entwickeln und sollten trotzdem diese „Mentalität leben“. Das ist viel verlangt, vor allem, wenn auch sonst kaum ein Stein auf dem anderen bleibt. Sprachwirrwarr, spielerische Lösungen, keine Mannschaftskreise, umgebuchte Trainingslager, neu eingezogene Wände. Dazu sind natürlich die anderen 17 Trainer in der Bundesliga Fachleute, die durchaus eine Idee entwickeln können, wie man einer qualitativ schwächeren und komplett uneingespielten Mannschaft beikommen kann, nämlich durch Ruhe im Spielaufbau, Aggressivität im Zweikampf und das Vertrauen in die eigene individuelle Qualität. Das hat in 9 von 13 Fällen zu einem Sieg gereicht. Auffällig, dass die Torbilanz der Lilien in der 1. Halbzeit 3:6 ist und in der 2. Halbzeit 8:20.

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Insofern war das neue Trainerteam sicherlich nicht zu beneiden. Meiers Ruhe hat mir persönlich zu Beginn imponiert. Ein alter Fahrensmann, der sich bei Wind nicht so leicht umhauen lässt – das kommt auch unfassbar cool, wenn es gut geht. Doch genau der erste Lufthauch hat gereicht. Die vorherigen Auswärtsspiele – geschenkt. Nach Walldorf war es vorbei, auch wenn man natürlich gegen Leipzig und in Leverkusen und auf Schalke verlieren kann. Wenn man aber zweimal gegen zuvor lange sieglose Teams zu Hause keine erkennbare Idee hat, wie man ihnen kämpferisch, läuferisch, spielerisch, taktisch, technisch und körperlich beikommen will, ist das ein Offenbarungseid. „Nach dem Gegentor wurde es natürlich schwer“ (Meier) – hat man wirklich keinen Plan B in der Tasche für ein durchaus realistisches Ereignis in einem Fußballspiel…? Und auch Kampf sieht für viele Zuschauer im Stadion sicherlich anders aus.

Spielbericht

Da dies hier ja ein Bericht vom Spiel sein soll, erzähle ich zunächst einmal von einer tollen Sammelaktion mit den HSV-Supporters, bei der weit über 4000 Lose für den guten Zweck verkauft wurden. Danke! Es ist großartig, dass trotz der für beide Teams schwierigen sportlichen Situation solch eine Aktion stattfinden konnte und bei den Fans so großen Anklang fand. Rautenlilien, nein, Lilienrauten halt… Über das Spiel selbst, würde ich am liebsten total schweigen. Nur so viel: Die beiden einzigen Aktionen, die den Ball AUF das Tor von Christian Mathenia gebracht haben, waren in der ersten Halbzeit ein geblockter Schuss und in der zweiten Halbzeit ein geblockter Kopfball, jeweils von Colak. Alles andere ging daneben oder in die Wolken. Bezeichnend für mich eine Szene mitten in der zweiten Halbzeit, als Marcel Heller in der Nähe der Hamburger Eckfahne von zwei Gegenspielern attackiert wurde und im Radius von ca. 40 Metern kein Spieler in blauem Trikot zu finden war.

Raus aus der Lethargie!

Der Cut kommt spät, aber er kommt. Es wird jetzt wichtig sein, in die Köpfe der Spieler zu kommen, eventuelle Gräben zu kitten, ihnen zuzuhören, sie wieder zu einer Einheit zu formen. Und vor allem: Raus aus der Lethargie! Wir sind nicht abgeschlagen Letzter, wir haben noch immer 21 Spiele Bundesliga vor der Brust, und dann sehen wir mal weiter…

Darmstadt 98 hat in seiner Geschichte bewiesen, dass völlig verkorkste Spielzeiten noch immer zu retten sind. In der Saison 1996/97 hatten die Lilien nach der Vorrunde sage und schreibe 9 (!) Punkte auf dem Konto, bei 14 Niederlagen aus 17 Spielen. In der Rückrunde holten sie 27 Zähler und schafften am letzten Spieltag mit einem 0:0 in Augsburg den Klassenerhalt. Ramon Berndroth war damals Co-Trainer am Flughafen. Nun wird er in Freiburg zum Bundesligatrainer. Hoffen wir, dass die Lilien mit ihm wieder abheben – alle hin DA!!!

Autor: Markus Sotirianos

 

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