Ein „Rooaar“ bezeichnet im Englischen einen starken Lautstärkeanstieg in einem Stadion. Also wenn es niemand mehr auf den Sitzen hält und alle gemeinsam eine große Geräuschkulisse bilden. Den ganz speziellen „Böllenfallroooaaaar“ durften StadiongängerInnen gestern beim Heimspiel gegen Sandhausen bestaunen. Als zum Schluss alle vier Tribünen aufstanden und das bekannte „SV Darmstadt Allez“ schmetterten, da konnte es einem warm ums Lilienherz werden. Die Befürchtungen, dass mit dem Neubau am Ende auch die einzigartige Bölle-Atmosphäre stückweise verschwinden wird, bewahrheiteten sich zum Glück nicht.
Dabei sah es früher am Tag noch etwas anders aus. Die Temperaturen waren für Februar extrem angenehm und mit dem wichtigen Auswärtssieg in Dresden im Rücken strömten wieder tausende Blau-Weiße an die Nieder-Ramstädter Straße. Tenor dabei: Sandhausen muss man heute schlagen! Diese Erwartungshaltung hatten auch Team und Trainer in der Vorwoche gefüttert, wiesen allerdings auch auf die Schwere dieser Aufgabe hin. Und so stellte sich dieses merkwürdige Gefühl ein, das wohl niemand so gut kennt, wie wir Lilienfans: Positive Grundstimmung gepaart mit den Befürchtungen auf eine schmerzhafte Niederlage. Doch bevor sich zeigen sollte, ob sich heute Hoffnung oder Befürchtung bewahrheiten würde, wurden erstmal zwei Vollblut-Lilien für ihre Verdienste ausgezeichnet. Zum einen unser langjähriger Busfahrer Friedel, der nach sieben Jahren das Lenkrad abgibt. Friedel hat unser Team während der Wunderjahre der Aufstiege durch das ganze Land kutschiert und so einiges rund um die 98er miterlebt. Dafür wurde sich nochmals von Teammanager Michael Stegmayer und Tom Eilers ausgiebig bedankt und auch auf der Südtribüne ein kleines Spruchband entrollt. Auch im Namen der FuFa nochmals: Vielen Dank, lieber Friedel und weiterhin immer eine gute Fahrt! Im Namen der FuFa durfte ich dann Yannick Stark nachträglich für 98 Einsätze im Lilien-Trikot eine Collage und einen Schal der Südtribüne überreichen. Die magische Zahl wurde bereits gegen Kiel geknackt und mittlerweile hat der einzige gebürtige Heiner im Lilientrikot bereits eine dreistellige Anzahl an Spielen voller Einsatz und Kampfgeist für unseren SVD absolviert. Dabei immer unvergessen – sein Tor in Worms, das die Tür zur 3. Liga ganz weit aufstieß und Yannick danach mit seinem Vater auf dem Zaun des Gästeblocks feierte. Ein unvergesslicher Moment! Auf viele weitere Einsätze und Tore im blau-weißen Trikot, Yannick!
Das Spiel begann dann im Anschluss von beiden Seiten wie erwartet mit viel Kampf, aber auch direkt ersten Möglichkeiten. Der eben noch ausgezeichnete Yannick Stark prüfte früh den Sandhäuser Schlussmann, aber auch Marcel Schuhen musste gegen Aziz Bouhaddouz und Denis Linsmayer immer wieder sein Können unter Beweis stellen, wobei letzterer eine große Gelegenheit zur Führung über das Tor schoss.
Gerade in dieser ersten Phase hätte man meinen können, ein Großteil der Zuschauer wären heute am liebsten im Bett geblieben. Das Spiel bot jetzt war nicht unfassbar viel Unterhaltung im ersten Durchgang, dennoch ist es mir unverständlich, wie wenig die Lilien zu diesem Zeitpunkt angefeuert wurden. Klappten erste Wechselgesänge zwischen neuer Gegengerade und Südtribüne recht gut, stiegen in der Folge immer seltener mal mehrere hundert Heiner in die Gesänge mit ein, sondern schauten lieber still das Spiel. Animationsversuche der Vorsänger auf Süd oder auch des A-Blocks verhallten teilweise wirkungslos. Eventuell hätte schon jetzt ein „Roooaaar“ neue Energien auf dem Feld freigesetzt. Stattdessen warteten die Zuschauer scheinbar lieber auf ein Zeichen vom Rasen, anstatt selbst eins zu setzen. Weitere Chancen konnten aber weder die Lilien noch der SVS nutzen – und so blieb es bis zur Pause eher beklemmend leise am Bölle.
In Durchgang zwei änderte sich dies vorerst nicht. Während sich die Teams weitestgehend neutralisierten und die Lilien probierten das Spiel zu dominieren, besserte sich die Stimmung nur sehr schleppend. Vorteilhaft war allerdings, dass das Team nun auf das Tor vor der Südtribüne spielte und mit Honsak und Kempe zu weiteren guten Möglichkeiten kam. Brustlöser war dann eine Ecke in der 59. Minute, die Immanuel Höhn mustergültig verwertete und das Bölle endlich aus seinem Tiefschlaf weckte.
Jubelstimmung bei Spielern und Fans, die sich nun begann ansteckend auszuweiten.
Als unser eben noch gefeierter Torschütze dann die gelb-rote Karte sah und die Marschrichtung des weiteren Spiels klar war – diese 3 Punkte in Unterzahl mit aller Gewalt festzuhalten – da begann der „Roooaaarr“ so langsam Fahrt aufzunehmen.
Immer lauter wurden die Lieder, immer mehr Menschen erhoben sich und stimmten ein, immer stärker wurde der Hall unter dem neuen Gegengerade-Dach. Das Bölle zeigte endlich, dass es Spiele mit entscheiden kann. Warum, wieso, weshalb nicht schon früher im Spiel damit begonnen wurde – das muss jede/r für sich selbst beantworten. Denn die folgenden Minuten waren das, was wir hier in Darmstadt so lieben – eine fightende Mannschaft, die sich in jeden Schuss reinwirft, ein verzweifelnder Gegner und ein Publikum, dass total aufgepeitscht jede gelungene Aktion und jede Grätsche beklatscht, als hätte man dadurch den Gewinn des Europapokals fast schon sicher in der Tasche.
In dieser Konstellation brachten unsere Jungs das Spiel über die Zeit und gingen schlussendlich als völlig verdienter Sieger vom Platz. Eindrucksvoller Schlusspunkt war dann das Einklatschen, das heute Yannick Stark auf dem Zaun der Süd für seinen Einsatz koordinieren durfte, auch wenn er sich anfangs etwas zierte.
Als dann jedoch Südtribüne, Gegengerade und die verbliebenen Fans auf der Haupt- und der Nordtribüne gemeinsam mit der Mannschaft begannen bei jedem Klatschen einen der drei heiligen Buchstaben zu brüllen und der Hall sich scheinbar bis weit über die Stadtgrenzen hinaus erstreckte, da musste auch Yannick grinsen und fand sichtlich Gefallen an der spontanen Einlage. Es zeigte zum Abschluss nochmals, wie laut ein Stadion als Einheit sein KÖNNTE, wenn es denn will. Ob es will, das hängt jedes Spiel aufs Neue von jedem Einzelnen von uns ab. Nicht nur die Spieler haben eine Verpflichtung in Vorleistung zu gehen, sondern auch wir Heiner auf den Rängen. Dieser Verpflichtung sollten wir uns zukünftig schon von der ersten Minute an bewusst werden und nicht erst ab der 80. Minute. Zeigen können wir dies direkt am Sonntag in Nürnberg, wo auch wir auf einen formstarken FCN treffen, dessen Anhänger sich ebenfalls immer lautstark bemerkbar machen. Doch auch dort können wir als blau-weiße Einheit bestehen und was mitnehmen!
Allez les bleus!
Autor: Tim
Fotos: Claus Krentscher / PotatoCreations
P.S.: Ihr habt eine ganz andere Meinung zum Thema Heimspielstimmung? Dann kommt am 3.3. in die Lilienschänke zu unserem 2. Lilien Fan Abend und diskutiert mit mir sowie Fanvertretern der Süd, der Gegengerade und des A-Blocks darüber. Marcel Schuhen ist auch da und erzählt uns, wie sich das Thema Stimmung aus Spieler-Sicht anfühlt. Ab 19 Uhr geht es los!