#KSVSVD | Vom wunderbarsten Nichttor des Jahres zum glücklichsten Stürmer der zweiten Liga

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Zunächst: Weggepfiffene Tore und der leidige VAR – ein Rückblick

Nach dem spekulativen aktiv-passiven Abseitstor des Nichtmehrdinos aus Hamburg gastierten unsere 98er am Mittwoch bei Holstein Kiel. Mario Gomez, 2019 im Tiefherbst der Karriere angekommen, hatte zu Recht nach dem Match am Bölle entnervt gravierende technische Mängel bei der Umsetzung des Video-Beweises angeklagt, gleichzeitig die Gespanne auf den Plätzen aber ausdrücklich in Schutz genommen. Insgesamt fünf oder sechs Tore wurden dem sympathischen Oldscool-Mittelstürmer kaputtgepfiffen, in Sandhausen unter anderem wegen zwei Zentimeter Schnürsenkel oder Kniescheibe hinter kalibrierter Linie. Ein geiler Fallrückzieher in der zweiten Halbzeit wurde vom Kölner Keller regelgetreu nach aktueller Auslegung konsequent geopfert, der Schönheit zum Trotz. Vor dem Bildschirm müssen Video-Schiedsrichter anhand von Bildern in geringer Framezahl per Augenmaß definieren, wann ein Fußball beim Pass den Schlappen verlassen konnte und so entscheiden, was zu tun oder zu lassen ist. Herr Hecking brüllte sich nach dem aberkannten 2-3 ein herzhaftes „Dann können wir den Scheiß auch lassen“ aus dem Leib aufs Spielfeld und in TV Kameras!

Es fühlte sich nach der Entscheidung gegen den HSV für mich Vollblutlilie an, als hätte ein fantastischer und durch die Zeit gebeamter Hybrid aus jungen Zidanes, Beckenbauers, Maradonas, Ronaldo dem ersten und Lionel Messi 1,50 m nach dem Absprung in der Luft stehend irgendwie mit beiden Hacken einen Fallrückzieher in den Winkel gezimmert. Natürlich im Liliendress, natülich zum hinreisenden 5-4 in der 98. Spielminute gegen die Filiale Ost (der Haufen, bei dem T. Werner sein Unwesen treibt). Ein Lizenzentzug wegen Spielergeschacher oder anderer Manipulationen Red Bulls wäre auch sehr fein, aber nicht wirklich zu vergleichen mit dem Glücksmoment, als Schiedsrichter Arne Aarnink das unvermeidliche Viereck in die Luft dirigierte, und erleichterte Darmstädter Spieler zum Freistoß im eigenen Strafraum gingen. Der wichtige Punkt daheim war gerettet.

Trotz aller Kontroversen halte ich persönlich die Einführung des Beweises für akzeptabel, da mehr krasse Fehlentscheidungen revidiert, als getroffen wurden. Die grundsätzliche Überprüfbarkeit überwiegt für mich beim Video-Beweis trotz der großen Mängel in der technischen Vorbereitung, offenbar immer noch fehlender angemessen praktikabler Software und auch Lücken im Regelwerk, die sich auswirken. Besonders Letztere hätten in der langen Vorbereitungsphase mehr an die neue Situation angepasst werden sollen. Deshalb verstehe ich auf der Gegenseite die Kritiker und ihre Argumente (vor allem die extreme Veränderung der emotionalsten Situation im Stadion – nämlich dem Torjubel). Völlig zu Recht Wasser auf die Mühlen derer, die sich die Vor-VAR-Zeit zurückwünschen, war sicher das absurde Getue in Dresden, als Wehen ein nicht regulär erzieltes Tor viel zu spät von bemitleidenswerten Schiedsrichtern und den Kölnern weggebolzt wurde. Die Einführung einer „Gleiche-Höhe“-Regel bei entsprechenden Szenen könnte eine Lösung sein, wenngleich sich auch hierbei Gemecker und Nörgelei Bahn brechen würden. Wahrscheinlich werden sich stets 11 Fußballer über die Entscheidungen der Schiris aufregen – egal ob diese falsch oder richtig sind. Trotz alledem wurde weder bei Hannover (Gruß an Herrn Stendera, Ihr Montagskracher unter die Latte war ein Leckerbissen!), Wehen, dem VfB Stuttgart noch dem HSV (Danke Herrn Jatta für’s Abseitsstehen!) jemand auf dem Platz gesichtet, der in Gummistiefeln oder verknoteten Beinen kickte, und somit die Gegner nicht vor oder nach zweifelhaften Entscheidungen die Chance gehabt hätten, die Sache gegen uns sportlich zu regeln. Genau deswegen muss in Darmstadt niemand nach Rechtfertigungen für in den Augen mancher „ergaunerte Punkte“ suchen. Unsere 98er taten alles, was ihnen an den Spieltagen möglich war, um diese redlichen und hart erarbeiten sechs Punkte zu erspielen. Sie werden in Anbetracht der ausgeglichenen Leistungen aller Vereine noch wichtig in der Endabrechnung sein.

Die Partie in Kiel

Das nächste Erfolgserlebnis konnten unsere Lilien in Kiel feiern, wo Serdar Dursun nach traumhafter Vorlage mit der Hacke Tim Skarkes seine Angewohnheit ablegte, grundsätzlich nur bei Heimspielen ins Tor zu treffen. Der Goalgetter wurde nach einem Freistoß Kempes kurz vor dem Halbzeitpfiff sträflich im Strafraum der Kieler frei laufen gelassen und schweißte kompromisslos zum überraschenden Ausgleich in die Maschen. Es war die erste klare Torchance des SV 98 in den ersten 45 Minuten und das Tor fiel in einer Phase, in der Holstein das Spiel klar bestimmte, auf das 2-0 drängte. Die Übermacht Kiels (Ballbesitz, Spielanteile) schien in den ersten 40 Minuten dermaßen hoch, dass Trainer Grammozis Seung-Ho Paik bereits in der 36. Minute leistungsbedingt durch Fabian Schnellhardt ersetzte, um dem Mittelfeld Stabilität und Ordnung zu verleihen. Entsprechend hoch war der Redeanteil des Kieler Fanradioreporters, der sich an diesem Abend die Moderation des Spiels mit seinem Darmstädter Kollegen Björn gekonnt teilte und immer dann zum Zug kam, wenn der gastgebende Verein in Ballbesitz war. Das Zusammenspiel der beiden Hobbyreporter wirkte wesentlich kombinationssicherer und geübter als das Bemühen unseres Teams. Wäre es den Lilien gelungen den Ball ähnlich flüssig laufen zu lassen wie die beiden großartigen Plauderonkel am Mikro ihre Kommentare, wären die Gäste an diesem Abend als klarer Sieger vom Platz gegangen. Ebenso gelang es nur in der Frühphase des Spiels, die bekannten Schwächen der Störche bei frühem Pressing offenzulegen. Auf der Gegenseite scheiterten Özcan, Mühling, Reese und Lee (Pfosten) knapp und hätten so ohne Weiteres auf 2-0 stellen können.

Nach Wiederanpfiff war erneut Kiel das aktivere Team, ohne sich jedoch zwingende Angriffsaktionen erspielen konnte. Lediglich in der 55. Minute scheiterte Neuzugang Reese (kam von Schalke 04) am glänzend reagierenden Marcel Schuhen. Kurz zuvor forderten die 98er Elfmeter, nachdem Thesker den Ball zweifelsfrei – aber offenbar nicht strafwürdig – mit der Hand im Strafraum führte. Bis zur 75. Minute entwickelte sich eine im Mittelfeld bissig umkämpfte Partie, in der sich keine der beiden Mannschaften Vorteile erspielen konnte (man fühlte sich an den Verlauf des zähen Hinspiels erinnert). Marvin Mehlem war es, der in 76. Minute in aussichtsreicher Position aus knapp 16 Metern den Ball in die Wolken jagte, anstatt den zentral völlig blank stehenden Dursun zu bedienen, was gleichbedeutend mit der ersten Chance der Gäste in Halbzeit zwei war. Ein Höhepunkt der Begegnung war mit Sicherheit die Einwechslung des Langzeitverletzten Felix Platte in der 86. Minute, der nach monatelangem Leiden an diesem Abend bestimmt zu den glücklichsten Spielern der zweiten Liga gehört haben dürften. Unserem an diesem Abend stets sicher wirkenden Keeper Marcel Schuhen war es vorbehalten, den letzten Glanzpunkt aus Sicht der 98er zu setzen, als er in der 90. Minute einen Schuss aus spitzem Winkel und kurzer Distanz von Baku reaktionsschnell mit dem Fuß zu parieren wusste.

Insgesamt war es eine von clever positionierten Abwehrreihen dominierte Partie, in der sich beide Angriffsreihen durch latente Ideenlosigkeit übertrafen. Erfreulich war die Zweikampfführung der Darmstädter, die diese Stärke gekonnt in die Waagschale werfen konnten, ohne unfair aufzutreten. Wie bereits im Hinspiel am Böllenfalltor gelang es Darmstadt über weite Strecken in den gefährlichen Zonen des Spielfeldes das in der Vergangenheit kombinationssichere Auftreten der Störche zu unterbinden. Und wie im Hinspiel war am Ende das Team das glücklichere, das vor des Gegners Tor einen eiskalten Serdar Dursun in den eigenen Reihen wusste.

Autor: William Nimroy

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