Freitag, der (Drei-)Zehnte…
Man konnte am letzten Freitag so das Gefühl bekommen, dass sich die Datumszählung in Wirklichkeit leicht verschoben hat. So viel an Pleiten, Pech und Pannen kam da zusammen, der Verdacht liegt also nahe. Und dabei meine ich eigentlich nur am Rande das Spiel. Das Spiel, naja, kann passieren, darf so eigentlich nicht passieren, aber irgendwie war es auch das dreizehnte Spiel der vermeintlich ungeschlagenen Serie, das konnte irgendwie nicht gut gehen.
Ich meine eher, a) dass das Spiel überhaupt auf einem Freitag lag (über 600 km Anfahrtsweg), b) dass ein mehr oder weniger ausgewachsenes Unwetter in der Nacht zum Freitag über Norddeutschland hinwegfegte und dabei mehrere Bahnlinien Richtung Hamburg lahm legte, c) dass natürlich an diesem Tag durch einen Pilotenstreik auch leichtes Chaos auf den deutschen Flughäfen herrschte und d) dass die A7 kurz vor Kassel auch noch durch einen Unfall eine Vollsperrung erleiden musste. Wer, wie ich, das große Glück hatte, eine rollende Bahn Richtung Norden zu ergattern, erlebte diese Fahrt eingequetscht zwischen schwitzenden Körpern auf einem Stehplatz und immer mit der Angst, beim nächsten Halt von unseren Freunden und Helfern wegen Zugüberfüllung aus demselbigen komplimentiert zu werden.
Dabei hatten wir eigentlich für optimalst mögliches gutes Karma gesorgt. Unser FuFa-Bus fuhr aufgrund des Bahnchaos‘ etwas später los, tatsächlich gab es noch eine Kurzentschlossene, die auf diese Alternative umschwenkte (hat es wahrscheinlich im Nachhinein bereut…). In Hamburg selbst traf ich dann mehrere Leute, mit denen mich soziale Aktionen verbinden, brachte ihnen die Karten mit, hinterlegte sogar noch ein Ticket für einen zu spät von der Arbeit weg gekommenen Bekannten am Ticketschalter – Kennwort: „Lilien“ (ja, ok, nicht sehr kreativ…) – betrat mit allen glücksbringenden Bändchen behängt den Gästebereich und hatte schon so ein komisches Gefühl. Auf dem Weg vom Bahnhof zum Stadion hatte ich mit meiner Hamburger Charity-Kollegin noch in ihren Erinnerungen geschwelgt: Wie sie einmal morgens noch in der Transsibirischen Eisenbahn aufwachte, nach Deutschland flog, einen Wagen in Flugzeug-Schlafanzugs-Montur mietete, weil ihr Gepäck nicht mitgekommen war, zum Pokalspiel ihres Herzensvereins in die Provinz fuhr, um dort mit Ordnern zu diskutieren, die sie wegen Überfüllung nicht mehr reinlassen wollten (sie kam dann natürlich doch noch irgendwie rein) – und sich eine Klatsche beim deutlich unterklassigen Vertreter ansah. Football – bloody hell!
Ok, so schlimm war es am Freitag dann nicht, aber viele Leute hätten sich sicherlich aufgrund der Strapazen oder gar Reiseabbrüche nur allzu gerne mit drei Punkten auf der richtigen Seite entschädigen lassen. Sollte nicht sein.
Der FC St. Pauli war hochmotiviert und von der ersten Sekunde an willens, das Gerede vom „Angstgegner“ aus Südhessen verstummen zu lassen, das konnte man spüren. Zwar kamen die Lilien in der ersten Hälfte zu zwei sehr guten Chancen, aber das hohe und aggressive Gegenpressing der Kiezkicker behagte unseren 98ern sichtlich nicht. In der zweiten Halbzeit sollte dann das Pendel zugunsten der Hausherren umschwenken. Nach einem unglücklichen Ballverlust in der Vorwärtsbewegung bekamen die Lilien-Spieler keinen Zugriff mehr, begingen ein paar Unachtsamkeiten zu viel, so dass Richard Neudecker am langen Pfosten keine Mühe hatte, nach mehr als 25 Jahren wieder ein Punktspieltor für den FCSP gegen die Lilien zu erzielen. Darmstadt musste nun mehr investieren, verrannte sich aber zu oft im engmaschigen Verteidigungsnetz der Gastgeber, Kempes Fernschuss nach gut 60 Minuten strich knapp am rechten Pfosten vorbei. Marvin Mehlem wurde eingewechselt, belebte kurzzeitig das Spiel, aber als rund um die 75. Spielminute der Spielfluss fast zum Erliegen kam, beschlich nicht nur mich das Gefühl, dass es heute irgendwie nicht sein sollte. Die Kombination über Neudecker, der unbehelligt in den Strafraum ziehen und Christopher Buchtmann das 2:0 auflegen konnte, war dann im Grunde die Entscheidung.
Niederlagen sind immer doof. Wenn ich aber hätte wählen müssen, welches Spiel wir im Jahr 2018 am Millerntor gewinnen und welches wir verlieren, hätte ich es so gewählt, wie es gekommen ist. Der Erfolg im Winter war am Ende überlebenswichtig für den Klassenerhalt. Die Tragweite der diesmaligen Niederlage können wir natürlich noch nicht abschätzen, aber sie ist – zumindest aktuell – verschmerzbar(er), weil man aus ihr viel lernen kann und die Saison noch sehr lang ist. Dass es mit nur 98 statt 100% in einem Zweitligaspiel nicht geht, muss man sich immer wieder neu bewusst machen, so sagte es ja in etwa auch ein ziemlich angesäuert wirkender Dirk Schuster auf der Pressekonferenz. Die eigenen Stärken suchen und nutzen und sich nicht auf ein Spiel einlassen, dass man weniger gut beherrscht, das muss und wird der Weg in den kommenden Wochen sein. Die Chance zur Wiedergutmachung kommt ja ganz bald und auf ähnlich Weise: Wieder Freitag, wieder Flutlicht, wieder auswärts, wieder euphorische Gastgeber. Hoffen wir, dass in Magdeburg Freitag, der Siebzehnte sein wird und nicht gefühlt, Freitag, der Dreizehnte, Teil II.
Ah, noch was: Eigentlich endet mein Text hier. Aber am Tag nach dem Spiel geisterte durch die sozialen Medien, dass eine aktuell kontrovers diskutierte politische Partei versucht, die Lilienspiele medial für sich zu instrumentalisieren. Man stelle sich vor, andere demokratische Parteien würden Fußballspiele zum Anlass nehmen, sich über Facebook selbst darzustellen. Geht’s noch? Pfui Spinne, sage ich da nur, pfui Spinne! Usual Suspects, Ihr habt so recht…
Autor: Markus Sotirianos