Spielbericht SV Darmstadt 1898 – Holstein Kiel

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Negative Energie

Das Spiel

Diesmal fing es, im Gegensatz zur vergangenen Auswärtspartie, sehr gut für den SVD an. Felix „Nevergiveup“ Platte erzielte bereits nach 5 Minuten einen Treffer aus spitzem Winkel nach willensstarkem Solo – genau wegen solcher Szenen gehe ich ins Stadion!

Doch Kiel zeigte sich nicht geschockt und hatte nach 11 Minuten die Chance zum Ausgleich, die Mall jedoch hervorragend parierte. Die Unsicherheiten aus seinem 1. Spiel für den SV98 waren spätestens da vergessen – er war an diesem Tag der beste Lilienspieler. Wenn dieser Titel an den Torhüter geht, ist das aber leider selten ein gutes Zeichen für das Spiel der gesamten Mannschaft…

Nachdem der bereits gelb verwarnte Altintop ausrutschte und dadurch den Gegner zu Fall brachte – was im ersten Moment wie eine sprichwörtliche „Blutgrätsche“ aussah – wurde er nach dem folgenden Freistoß bereits nach 37 Minuten ausgewechselt, um keine rote Karte zu riskieren. Fehlen wird er trotzdem im nächsten Spiel in Braunschweig (Samstag, 13:00 Uhr), da es bereits seine 5. Gelbe Karte in der laufenden Spielzeit war.

Für Altintop kam Geburtstagskind Yannick Stark, dem der A-Block bereits beim Warmlaufen ein nettes Ständchen gesungen hatte.

Kurz darauf kam es zum (muss man leider im Moment so sagen) obligatorischen Gegentreffer. Darmstadt hatte wieder nicht nachgelegt, sondern stattdessen nachgelassen, so dass sich die Kieler schließlich in der 42. Minute zum 1:1 kombinieren konnten. Mit diesem Ergebnis ging es auch in die Pause, wo Patrick Lange von seinem Ironman-Sieg in Hawaii berichtete und davon, was ihn zum Sieg gepusht hat – doch davon später mehr.

Am Ergebnis änderte sich dann in der Folge leider nichts mehr, obwohl Steinhöfer in der 68. Minute aus 20 Metern sehenswert aufs Tor schoss, der Kieler Torwart aber leider ebenso klasse parieren konnte.

Kiel wechselte in der 70. Min noch den 1,99 Meter großen Seydel ein, doch Sulu gewann – um auch mal wieder etwas Positives hervorzuheben – auch gegen diesen Kieler die Kopfballduelle.

Die Halbzeitereignisse

Zunächst noch mal zurück zu Patrick Lange. Dieser hatte in der Pause auch von der positiven Energie berichtet, die er durch einen Lilienfan am Straßenrand und das Johnny-Motto „Du musst kämpfen“ bekommen hatte. Positive Energie kann viel bewirken, sie motiviert, reißt mit und kann ein Gemeinschaftsgefühl bewirken.

Leider kam es aber zum Ende der Halbzeit zu einem gegenteiligen Ereignis, dass negative Energie freisetzte. Als Zuschauer der Gegengerade sah man davon zunächst nur zum Gästeblock hin- und her rennende in schwarz gekleidete Vermummte. Daraufhin kam es auch zu Bewegungen im Gästeblock und von der Polizei. Wenig später ahnte man, was da eben passiert ist, nämlich als Fahnen der Gästefans auf der Südtribüne hochgehalten wurden. Das Ganze lässt sich somit als „Fahnenklau“ zusammenfassen und ist im Bereich der Ultra-Fangruppierungen ein in der Vergangenheit schon häufig vorgekommener Akt.

Geklaute Fahne im Block S

Hierbei geht es bei untereinander verfeindeten Gruppen darum, an die Fahnen, Banner, etc. zu kommen und diese dann im eigenen Block quasi als eine Art „Trophäe“ zu präsentieren. Gelingt dies – in diesem Fall den Darmstädtern – muss sich die betroffene Gruppierung gemäß einem ungeschriebenen „Ehren-Kodex“ sogar anschließend auflösen.

Im jetzigen Fall ist dies mittlerweile tatsächlich geschehen und die bestohlenen Kieler Fans gehen sogar weiter und wollen – laut einer unbestätigten Meldung in den sozialen Netzwerken – auf absehbare Zeit auf einen Stadionbesuch verzichten, da sie durch den Verlust ihrer Fahnen ihrem Verein „Scham und Peinlichkeit“ zugefügt hätten.

Viele werden jetzt vielleicht ungläubig den Kopf schütteln oder dies belächeln. Ich will das aber an dieser Stelle gar nicht kommentieren, sondern nur sagen, dass diese „Aktion“ am Samstag bei einigen Zuschauern Angst und Unverständnis auslöste. In der Folge haben sich auch viele Zuschauer der Gegengeraden nicht mehr an den Wechselgesängen beteiligt und die Geschlossenheit unter den Fans war nicht mehr da – aus anfangs positiver Energie wurde negative Energie – was der Mannschaft sicher nicht geholfen hat…

Sicher gab es auch Leute im Stadion, die das gut fanden (Motto: Ein bisschen Anarchie schadet nie) und sogar ein spontanes Liedchen dichteten („Ohne Banner fahrt ihr heut´ nach Kiel…“), aber wenn man sich heute die Kommentare zu den Fahnenklau-Einträgen ansieht, ist der überwiegende Teil doch eher negativer Natur.

Aber gerade Geschlossenheit hatten sich die verschiedenen Ultra-Gruppierungen doch eigentlich vor der Saison auf ihre (imaginären) Fahnen geschrieben, um gemeinsam mit den anderen Fans Missstände im modernen Fußball aufzuzeigen, und sich z.B. für fanfreundliche Anstoßzeiten ausgesprochen.

Ich denke, dass solche Aktionen hierfür kontraproduktiv sind, zumal es die Ultra-Bewegung aufgrund des o.g. „Ehren-Kodexes“ ja sogar dezimiert!

Geschlossenheit

Das Stadion wird von vielen unterschiedlichen Menschen besucht. Es wird daher nie möglich sein, alle Interessen zufrieden zu stellen.

  • Da gibt es z.B. die, die sich schon vor der Pause auf den Weg zum Getränkestand machen, damit sie nicht Schlange stehen müssen und sich dann aufregen, wenn ihnen auf dem Rückweg an einer Engstelle alle entgegenkommen, die die Halbzeit bis zum Ende verfolgt haben.
  • Oder diejenigen, welche die Mannschaft permanent stimmlich unterstützen und die anderen, die nur manchmal mitsingen.
  • Da sind die Ultras, die bei Auswärtsspielen immer versuchen, den ganzen Block zu animieren und eben solche, die gar keine Auswärtsspiele besuchen.

Gerade deshalb sollte man meiner Meinung nach solche Aktionen im Stadion lassen, da sie das Gegenteil von Geschlossenheit bewirken und die Unterschiede noch stärker zum Ausdruck bringen.

Ich finde es z.B. auch problematisch, wenn Fans andere Fans aufgrund vergangener Leistungen oder Nicht-Leistungen ausgrenzen. Ist jemand weniger Fan des SV Darmstadt 98, wenn er sich nicht schon 2008 bei Spendenaktionen für den damals fast insolventen Verein eingesetzt hat, sondern erst später seine Leidenschaft entdeckt hat?

Abschließend muss ich dazu eingestehen, dass mich die genannten Ereignisse persönlich betroffen gemacht und geärgert haben, vor allem, wenn man sich die vielfältigen Reaktionen darauf ansieht. Reaktion führt zu Gegenreaktion, Frust und Gewalt. Oder glaubt jetzt noch irgendjemand, dass die Kieler (Ultras) uns freudig zum Rückspiel empfangen werden? Sicher, für die Ultra-Gruppierungen ist so eine Rivalität vielleicht das Salz in der Suppe, aber zu Auswärtsspielen gehen auch Familien mit ihren Kindern und das sind auch Fans!

Des Weiteren gibt es jetzt in Kiel Menschen, die zukünftig nicht mehr die Spiele ihres erfolgreich spielenden Vereins sehen werden, auch wenn dies aus eigener Entscheidung erfolgt. Also insgesamt doch alles unter der Kategorie „unschön“ und eben „ärgerlich“ zu verbuchen.

Aber wer sich ärgert, verschwendet nur seine Energie, deshalb versuche ich hier ein Zitat von Konrad Adenauer zu beherzigen: „Wer sich ärgert, büßt die Sünden anderer Menschen.“

Flag Football

Flag Football Spieler

Zum Schluss noch mein – nicht bierernst gemeinter Vorschlag – an alle Ultra-Gruppierungen: Probiert es doch mal mit Flag Football.

Bei dieser Variante des American Football stoppt man einen Angreifer nicht durch ein körperliches Tackling, sondern indem man ihm ein Fähnchen (Flag) aus dem Gürtel zieht.

Das wäre doch genau das Richtige: Man rennt auch hier herum und zieht vom anderen Fähnchen ab. So ein Ultra-Turnier würde ich mir auf jeden Fall ansehen – bei uns am Bölle möchte ich aber die Lilien siegen seh´n!

Autor: Stephan Kohle

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