Raus aus dem Jurassic Park

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Nach 21 Jahren wieder Bundesliga! Für viele ist es das erste Mal, aber einige Alt-Eingesessene haben lange darauf gewartet. Wir möchten euch heute einen ganz persönlichen Rückblick auf das lang ersehnte Spiel von Jürgen Koch, unserem Abteilungsleiter der Fan- und Förderabteilung, zeigen.

Am 19.5.2014 geschah das was man als Wunder von Bielefeld bezeichnet. Nach 21 langen Jahren war der Betriebsunfall Abstieg aus dem Profifussball endlich repariert. Viele waren sich im Sommer 1993 sicher, daß es wirklich nur ein solcher Betriebsunfall war und wir schnellstens wieder hoch kommen würden. Unser ganzes Denken und unser ganzes Selbstverständnis als Fan war auf zweite Liga, wenn nicht sogar auf Sicht auf Erste Liga ausgerichtet. Wir sind 1971 in die Regionalliga Süd aufgestiegen, dem damaligen Unterhaus der Bundesliga. Und wir haben von Anfang an dort eine führende Rolle gespielt. Wir haben legendäre Siege wie das 7:0 gegen den damaligen deutschen Rekordmeister, 1.FC Nürnberg, gefeiert. Wir haben in der Aufstiegsrunde zur Bundesliga mit viel Einsatz und viel Pech gespielt. Wir hatten ein kurzes Intermezzo im europäischen Totocup (den wir Fans aber nie wirklich ernst genommen haben). Für uns war ganz selbstverständlich, daß wir Gründungsmitglied der richtigen 2.Liga wurden. Zwei Ausflüge in die Bundesliga ließen uns immer von Höherem träumen. Wir waren auch immer ein Stück anders als andere. Unsere Spieler waren immer ansprechbar, waren immer in der Stadt unterwegs. Mit Udo Klug und seiner offenen Art und seinem Offensivfussball wurde der Grundstein gelegt, der unsere Identifikation mit unserem SVD geschaffen hat. Wir hatten nie Probleme Spieler aus dem Ausland zu holen. Das war in den 70er und teilweise noch in den 80er Jahren eher ungewöhnlich. So spielte der erste Südafrikaner, der erste Koreaner, ein Holländer, zwei Spieler aus der damaligen CSSR in unseren Reihen. Also wohin sollte schon die Reise des SV98 gehen, wenn nicht nach oben. Nach München, Berlin, Hamburg, Köln, Stutgart. Aber doch bitte nicht nach Wörsdorf, Lohfelden, Höchst. Wo war denn nur dieses Kuhkaff Wehen? Schon die Tatsache, daß sich so einige 98er-Fans beim ersten Spiel 1993 in der Oberliga Hessen fälschlicherweise statt nach Frankfurt-Höchst nach Höchst im Odenwald fuhren, zeigt wie wie weit weg der Amateurfußball für uns wirklich war.

 

Was aber oft vergessen wurde: wir hatten immer wieder über unsere Verhältnisse gelebt. Als Vorgriff auf ganz bestimmt kommende gute Zeiten in der Bundesliga wurden massenweise teure Spieler geholt. Einigen konnte man schon ansehen daß es ihnen nur um Abzocke ging. Die ehrlichen Arbeiter im Team wie ein Freddy Heß, Stefan Trautmann, Jürgen Baier oder Gerhard Kleppinger konnten den Untergang nicht mehr verhindern. Der Abstieg begann schon Jahre vorher wie ein schleichendes Gift. In Zeiten als es natürlich noch kein Internet gab, zählte das gesprochene Wort, der Protest im Stadion, die Diskussionen in Kneipen. Über Jahre hinweg haben wir Fans unseren Unmut direkt nach dem Spiel gezeigt vor dem VIP-Raum und vor der Geschäftsstelle. Da wurden Trainer, Spieler und Funktionäre bedrängt und wenn es sein mußte wurde auch ein Schiedsrichter bis nach Traisa getrieben. Eine Frage ließ mir seit ich 1982 wieder Mitglied wurde keine Ruhe: wir Fans hatten das sichere Gespür was im Verein schief lief, hatten aber keine Lobby und schon gar keine Öffentlichkeitsarbeit um Mißstände anzuprangern. Hätten wir unseren Verein eher retten können vor diesem Abstieg und hätten wir das finanzielle Chaos und Vetternwirtschaft verhindern können wenn wir mehr Fans als Mitglieder gewonnen hätten? Der Mitgliedsbeitrag war aber schon so konzipiert, daß es sich nur wenige leisten konnten oder wollten nur aus Oppositonsgründen Mitglied zu werden. Eine Frage die sich immer wieder wiederholen würde in den 21 Jahren abseits vom Profifußball. Die aber auch heute, wo es uns scheinbar so gut geht wie noch nie, noch aktuell ist. Nur daß es jetzt einfacher und günstiger geworden ist sich zum Verein den man liebt zu bekennen.

 

Im September 1993 feierte Steven Spielbergs „Jurrassic Parc“ Kinopremiere. Jetzt, am 3.August 2014, gegen Sandhausen kam es mir so vor, als wenn ich gerade aus dem Dino-Park entflohen wäre. Schluß mit diesen Ungetümen der Provinzen. Aber hoppla, wer hat denn da Regie geführt? Das letzte Spiel in der 2.Liga hatten wir mit Meppen genau den Verein, der als Synonym für Provinzfussball galt. Und jetzt das erste Spiel nach der Rückkehr gleich wieder ein Dorfverein. Und im nächsten Liga-Heimspiel schon wieder mit Aalen ein Dorfverein. Aber dann, ja dann endlich, sind wir wieder in München auf dem Platz. Diese 60er mit denen wir legendäre Duelle hatten, deren Stadionsprecher (extra für dieses Spiel aus Kaiserslautern eingekauft) uns bei einem Abstiegsduell zu voreilig als Absteiger verhöhnt hat. Jetzt kommen sie wieder, diese Erinnerungen an die „guten“ alten Zeiten. Jetzt kommen auch die wieder, die ich 21 Jahre nicht im Stadion gesehen habe. Aber da sind auch die, mit denen ich seit 1971 zusammen auf der Gegengerade stehe, da sind die mit denen wir Fans den Verein gerettet haben vor dem totalen Aus durch Insolvenz. Da ist eine Fanszene die schon wieder so anders ist wie andere. Wir sind mit dem Verein nicht nur über die Dörfer gezogen, wir haben dem Verein ein neues Gesicht gegeben. Der Verein arbeitet seit Hans Kessler auf Guthabenbasis, die Fans stehen zusammen und haben gezeigt, daß man sich auf sie verlassen kann. Die Fans sind die Basis für den Verein geworden. Man muß sie ernst nehmen, sie haben Verantwortung übernommen und sie sind es, die das wirkliche gallische Dorf ausmachen. Das hat sich alles geändert seit 1993. Das ist es was mir auf dem Weg am Sonntag ins Stadion durch den Kopf ging. Gegen wen wir zum Auftakt spielen mußten war eigentlich scheißegal. Wir sind aber wieder DA und der Sieg war die Krönung eines Gänsehauttages. Gegen Meppen 1.050 und nun gegen Sandhausen 13.400 Zuschauer, das sind Welten. Abgestiegen aus dem Profifußball mit Anfang 30 und als Dino zurück in UNSERER 2.Liga! Und wehe, wenn die Gefahr aufkommt, daß wir absteigen könnten. Dann müssen wir wieder gallisch werden. Das würde auch das zweite große Ziel neben dem Klassenerhalt gefährden: das alte Böllenfalltor muß umgebaut werden. Auch dieser Weg wird nur mit den Fans machbar sein.

Bildcredit „Zooom-Box“

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